Gerlinde Sommer über Theatermacher am Puls der Zeit.

Liebe Leserinnen,
liebe Leser!

Jeder warme Abend in diesen Spätsommertagen ist ein Gewinn für Darsteller und Publikum bei diesem ganz besonderen Kunstfest im Coronajahr 2020. Während wir ständig lesen, wer alles seine Veranstaltungen ins kommende Jahr verschiebt, wird in Weimar einfach gemacht. Draußen. Danke!

Und das mit einem Programm, das so ganz auf der Höhe dieser besonderen Zeit ist. Heute Abend etwa wird noch einmal „Endlose Aussicht“ gezeigt. Das Stück von Theresia Walser rankt sich um eine alleinstehende Frau auf einem Luxusdampfer, der keinen sicheren Hafen mehr findet. So erging es tatsächlich im Frühjahr vielen Kreuzfahrttouristen. Der Abend auf dem Hof der alten Feuerwache trifft diese Stimmung zwischen seuchenbedingten Untergangsängsten und der Vermutung, auf dem Schiff in einer fensterlosen Einzelkabine womöglich besonders gut geschützt zu sein vor allen Gefahren der Welt, sehr gut. Es macht den Reiz dieses Kunstfestes aus, dass die Theaterbeiträge so gegenwärtig sind. Und zugleich liegt in dieser so ganz dem Hier und Jetzt zugewandten Programm auch ein Risiko, das bei der Vorstellung am Mittwochabend besonders deutlich wird: In der Nacht zuvor ist Moria abgebrannt. Menschen, die zuvor auf der Flucht an unsicheren Küsten gestrandet waren, sind jetzt erneut obdachlos.

Je näher ein Theaterstück am Puls der Zeit ist, desto größer ist die Herausforderung, auf neue Impulse zu reagieren. Oder man lässt es – und dann schippert das Publikum eben auf dem Luxusdampfer, von dem man den Menschen zuwinkt, die aus Wut Steine werfen.

Trotz „endloser Aussicht“ schaut der Mensch eben am intensivsten auf seine eigene Situation. Im realen Leben wie im Theater …

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