Gerlinde Sommer über Empörungsmüdigkeit.

Liebe Leserinnen,
liebe Leser!

„Ich leide derzeit unter einem Syndrom, das man ‘rage fatigue’ nennen könnte, also Empörungserschöpfung, Wutmüdigkeit. Es ist, wenn man so will, die letzte Stufe im Aufregungsspektakel dieser Tage. Ein diffuser Entrüstungsekel in Kombination mit einem Gefühl von Sinnlosigkeit, der in der Frage mündet: Wie sollen Politik und Weltveränderung gelingen, wenn wir schon im Falle von Nichtigkeiten so miteinander reden und streiten?“

Diese Sätze stammen von Bernhard Pörksen, Professor für Medienwissenschaft an der Uni Tübingen. Er hat sie natürlich vor alledem geschrieben, was jüngst von Thüringen ausgehend passierte. Denn dabei handelt es sich ja gerade nicht um Nichtigkeiten wie AKKs unlustiges Unisextoiletten-Witzchen vom vergangenen Jahr. Damals war sie als Putzfrau verkleidet unterwegs, weil sie sich so quasi als Figur aus dem Volke über die politische Klasse und über jene, die sowieso keine CDU wählen, spotten konnte. Ich hatte schon damals nicht verstanden, welche Empörungswellen dieser tatsächlich unlustige Karnevalsauftritt schlug. Wer sich ständig in Rage redet, wer jeden Satz auf die Goldwaage legt, der gerät sicherlich bald in einen Zustand, in dem er nicht nur müde und erschöpft wirkt, sondern auch aus dem eigenen Lot gerät.

Das Wichtige vom Unwichtigen zu unterscheiden ist ja gerade das, was den Menschen auszeichnet. Wer sich immer gleich maximal aufregt, der macht keinen Eindruck mehr, wenn tatsächliche Empörung notwendig wäre.

Es kommt mir so vor, als sei vielen Menschen inzwischen die Gelassenheit abhanden gekommen, weil sie sich minütlich mit Kleinigkeiten befassen. Und wenn dann etwas wirklich Grundsätzliches und die Grundfesten Erschütterndes geschieht, wackeln sie nur noch müde mit dem Kopf...

Kontakt: