Gerlinde Sommer über eine längst überfällige Debatte.

Jüngst las ich folgende Behauptung: „Jahrhundertelang war klar: Ein Mieter ist ein Mensch, der etwas gemietet hat. Ob dieser Mensch männlich, weiblich oder divers ist, spielte sprachlich keine Rolle.“ Stimmt das? Nein! Der Mieter war über Jahrhunderte ausschließlich männlich. Frauen hatten lange gar keine eigenen Geldgeschäfte machen dürfen. Sie galten als nicht voll geschäftsfähig. Warum? Weil es das Gesetz so vorsah. Dieses Gesetz war ein Herrschaftsinstrument und daher zur Unterdrückung geeignet.

Frauen mieteten nicht selbstständig. Vater oder Gatte oder Vormund mussten stets um Zustimmung gefragt werden. Das war besonders schlimm für Witwen, die zuvor ein Geschäft geführt hatten und sich nach dem Tod des Gatten einen Alibi-Geschäftsführer suchen mussten … Mann war immer der Haushaltsvorstand. Der Bestimmer. Das heißt: Ganz lange meinte der Begriff Konto- oder Geschäftsinhaber ausschließlich männliche Personen. Und viele Banken sagen jetzt noch: Es reicht, wenn sie bei der männlichen Form bleiben. Der Abiturient? Erst seit 1908 dürfen Mädchen Hochschulreife machen, weswegen der Student jahrhundertelang männlich war. Seit 1919 sollten sich Frauen beim Begriff Wähler mitgemeint fühlen. Die ersten Frauen im Polizeidienst wurden in Deutschland erst ab 1923 erlaubt – in Köln. Polizist ist ursprünglich eindeutig ein Begriff, der nur einem Mann zugeschrieben werden kann. Und wie ist es mit dem Autofahrer? Das erste Auto über Land fuhr zwar Bertha Benz. Aber erst seit 1958 durften in Westdeutschland Frauen ohne Erlaubnis des Ehemanns die Fahrerlaubnis machen. Und weil sich manche Herren solche Freiheiten fürchteten, prägten sie den Spruch: Frau am Steuer? Ungeheuer! Stellenausschreibungen müssen sich erst seit 1994 auch an Frauen richten; inzwischen heißt es: (m/w/d).

Reden, wie einem der Schnabel gewachsen ist

Es stimmt vielmals nicht, wenn behauptet wird, Frauen wären immer mitgemeint gewesen und hätten also die gleichen Rechte gehabt – und lediglich die Sprache habe ihre Gleichberechtigung nicht sichtbar gemacht. Es war genau andersherum. Das zu benennen, ist ein Fortschritt durch Duden.de!

Die Debatte, die jetzt folgt, gilt als überfällig. Natürlich ist es für nicht wenige Menschen mühsam, eine gerechtere Sprache zu nutzen oder gar zu sprechen. Aber das muss ja keiner. Jeder darf reden, wie ihm der Schnabel gewachsen ist. Sprache sagt dennoch immer sehr viel über die Nachwirkung der Unwucht der Verhältnisse vorangegangener Zeiten. Deshalb ändert sie sich stetig. Das Fräulein etwa hat offiziell vor 50 Jahren als Kategorie abgedankt. Erst auf Formblättern, dann in der Anrede – und schließlich ward das Wort nicht mehr gehört.

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