“Der 'Spiegel' war damals d a s Sprachrohr für uns - wenn man ihn bekam.“ So erinnert sich der langjährige Nachwende-Kulturressortleiter der TLZ, Peter-Alexander Fiedler (67), an den Titel vom 25. März 1964 über den Fall Havemann . Damals erschien das Magazin noch im Dünndruck , erinnert sich Fiedler.

Weimar. Fiedler war vor seiner TLZ-Zeit Vizedirektor der Kunstsammlungen zu Weimar, zuvor deren Presse- und Öffentlichkeitsarbeiter, davor zum Wirtschaftsjournalisten degradierter Kulturredakteur beim Tageblatt. Weshalb wurde Fiedler degradiert? Er hatte vernehmlich über die deutlich bessere Kulturpolitik der Ungarn und Polen geschimpft...

Eine Reise von Wirtschaftsjournalisten zur Leipziger Messe brachte ihn zufällig mit "Spiegel"-Redakteur Jörg Mettke zusammen. Während Fiedlers Tageblatt-Abteilungschef - ein Neffe war Hochprozentiger in der Partei, der zweite in den Westen abgehauen - ihm stets den "Spiegel" verschaffte.

So war das damals , erinnert sich der spätere TLZ-Mann. Alles ging über Beziehungen zum Westen. Wer dort eine Tante hatte, auf dessen Wunschzettel zu Weihnachten stand der"Spiegel". Oder Bücher aus dessen Bestseller-Liste.

1974, zur Guillaume-Affäre, kriegte Fiedler eine Ausgabe mit der Titelschlagzeile Warum Brandt gehen musste - samt einem Kommentar des damals DKP-nahen Martin Walser. Der forderte mit sozialistischem Gruß Erich Honecker zum Rücktritt auf... Wahnsinn! Hochspannend!

Manches Buch aus Geschenkepaketen wurde vom Zoll konfisziert, aber eben nicht alle. Fiedler hat so eine halbe Bibliothek aufgebaut. Griff der Staat ein, unterrichtete darüber ein simpler Zettel im Paket. Fiedler hat viele solcher Zettel.

Er erinnert sich auch, dass in einer westdeutschen Publikation (möglicherweise von Hans Bender) geraten wurde: Wenn die DDR vernünftig sei, dann lasse sie ihre Bürger einmal im Jahr in den Westen und gebe ihnen ein "Spiegel"-Abo...

Als spannend wurden vor allem Rezensionen etwa von Günter Grass Büchern empfunden. Fiedler hat noch einen Spiegel -Titel mit Grass vorne drauf von 1963 aufgehoben. Sein Resümee: "Der 'Spiegel' war unser Lesefutter, unser Heiligtum."

Jetzt jährt sich die "Spiegel"-Affäre, die das Blatt unter Adenauers Diktum ("Ich sehe einen Abgrund von Landesverrat.") zum Sturmgeschütz der Demokratie machte. Vor 50 Jahren wurden sieben Redakteure und Verlagsmitarbeiter, darunter Rudolf Augstein, verhaftet. Doch das Zitat ist nicht vollständig. Augstein hatte noch etwas hinzugefügt, das später immerzu vergessen wurde. Der ganze Satz hieß so: Wir waren das Sturmgeschütz der Demokratie - mit verengten Sehschlitzen.

Inzwischen blätterte vom "Spiegel" mancher Lack ab. So räumte er vor einigen Jahren dem stets kritisierten Helmut Kohl, der ihn nach außen ignorierte, sich aber heimlich aus ihm vorlesen ließ, einen salbungsvollen Titel zu dessen erster Buchveröffentlichung ein - und aufgeklärte Thüringer wie etwa Kohls Beinahe-Putschist Lothar Späth hatten was zu lachen...

Zum Jahrestag wollten die Redakteure denn auch keine Elogen von Politikern hören, sondern eine strenge Diskussion mit Historikern. Prompt schimpfte eine Wissenschaftlerin über eine nachträgliche Ehrenrettung für Franz-Josef Strauß vor einigen Wochen - des Mannes, der die "Spiegel"-Affäre ausgelöst hatte und der ihretwegen zurücktreten musste.

Der Schneid der frühen Jahre scheine zum Konsensjournalismus zusammengeschrumpft, kommentierte jetzt die FAZ.

Auch das frühe Märchen vom Durchbruch einer jungen Journalisten-Generation in der "Spiegel"-Redaktion wurde jetzt nochmals entlarvt. In Wahrheit waren es kriegserprobte Altverleger, die bei dem Magazin das Sagen hatten. - Nicht anders als beim"Stern". Und es herrschte ein grausiger, patriarchalischer Führungsstil...