Gotha/Weimar/Gera. Erwartungsfrohe Ungeduld kennzeichnet die Stimmung unter Thüringer Orchestermusikern. Sie alle leiden unter der Corona-Pause, sie vermissen einander, ihre Arbeit, das Publikum.

Doch lässt die Berliner Charité-Studie über hygienisch korrekte Bedingungen auf Konzertpodien und in Orchestergräben (wir berichteten) Hoffnung aufkeimen, dass ähnlich wie in Hessen und Nordrhein-Westfalen vielleicht schon im Sommer erste Auftritte möglich sein könnten. Wir hörten uns um.

„Wir haben solche Sehnsucht nach Ihnen!“ Der Satz prangt in Großbuchstaben auf der Internet-Startseite der Thüringen Philharmonie Gotha-Eisenach und richtet sich natürlich ans Publikum. Intendantin Michaela Barchevitch muss mindestens einen Teil ihrer Musiker in die Kurzarbeit schicken, hofft aber, bald mit kleineren Open-air-Formaten zurück in einen – wenngleich improvisierten – Spielbetrieb zu finden. Vorerst können ihre Künstler sich nur um diejenigen kümmern, die Musik am nötigsten brauchen: Jeweils zu zweit treten sie auf vor Pflegeheimen, Behindertenwerkstätten und anderen sozialen Einrichtungen, um Ständchen zu spielen – auf Abstand und Corona-legal. Ähnlich hält es die Staatskapelle in Weimar, und auch die Erfurter Philharmoniker werden in der Landeshauptstadt aktiv.

Laurent Wagner
Laurent Wagner

Unterdessen entwirft Barchevitch zum Spielzeitstart im September einen Plan B und einen Plan C obendrein. Denn so, wie ursprünglich vorgesehen, wird’s gewiss nicht gehen. Große Romantik scheitert daran, dass der Platz im Kulturhaus und in den Theatern für solche Besetzungen nicht ausreicht. Das schränkt das Programm ein: Wo vielleicht ein Richard-Strauss-Hornkonzert geplant war, muss man mit einem von Mozart vorlieb nehmen. Dazu will die Intendantin noch Podien ausmessen und den akustischen Einfluss von Plexiglaswänden vorm Blechbläser-Apparat testen. Barchevitch denkt vorrangig an kammermusikalische Besetzungen und überlegt, eine mobile Open-air-Bühne oder Wandelkonzerte anzubieten. Fest verspricht sie: „Sobald wir es dürfen, werden wir sehr schnell die Musik wieder zu den Menschen bringen.“

Auch Nils Kretschmer, Orchesterdirektor der Staatskapelle Weimar, hat den Zollstock als Arbeitsgerät entdeckt, weil, wie er sagt, „der Orchestergraben das größte Problem ist“. Mit den neuen Abstandsempfehlungen aus der Charité-Studie gäbe es in Weimar eine Chance – allerdings nicht für Wagner und Strauss. Selbst die Uraufführungs-Premiere der Oper „Electric Saint“ des „Police“-Drummers Stewart Copeland muss aus diesen Platzgründen verschoben werden. Beim Musical „Cabaret“ wird man mit einer sechsköpfigen Dix-Combo anstelle eines Orchesters operieren.

Viel ernster die Lage in Gera. Zur neuen Saison mag der scheidende Generalmusikdirektor Laurent Wagner zwar keine Auskünfte geben, aber er kennt „seinen“ Graben nur zu gut: Wenn man in der Deutschen Oper Berlin für einen regulären „Figaro“ dort Platz finde, gelinge in Gera nicht einmal das. Wagner ist „unendlich traurig, dass viele schöne Projekte, die für diese Spielzeit geplant waren, nun nicht kommen werden“. Dass er sich zudem durch das Virus um seinen Abschied betrogen fühlen muss, trägt der Noch-59-jährige mit Fassung. „Ich bin guten Mutes, dass sich etwas finden lässt...“

Um einen Nachfolger für den sympathischen Franzosen zu küren, muss Intendant Kay Kuntze jetzt wohl eine einjährige Vakanz einkalkulieren. Ähnliche Nöte leiden die Weimarer bei der Suche nach dem Karabits-Erben und nach einem neuen Zweiten Kapellmeister. Um die Klangqualität der Staatskapelle sorgt man sich indessen nicht – obschon, wie Konzertmeister Gernot Süßmuth bemerkt, so ein halbes Jahr Zwangsferien länger als die übliche Sommerpause ist. Doch glüht er vor Optimismus, auch Laurent Wagner tröstet: „Das ist ein bisschen wie Fahrradfahren. Man verlernt es nicht.“

Süßmuth und seine Barockformation proben mitunter per Telefon, das Geraer Dix-Ensemble setzt sogar Videokonferenz-Software ein. Nur ersetzen Videostreams die Live-Performance keineswegs. Süßmuth bekennt daher für seine Kollegen: „Alle freuen sich darauf, wenn es endlich wieder losgeht!“