Mit Thomas Thieme sprach Frank Quilitzsch.

Haben Sie sich von Ihrem Pfingstauftritt auf Schloss Ettersburg erholt, Herr Thieme?

Ich habe ein paar Tage gebraucht.

Der volle Saal, der schwere Text und die gnadenlose Hitze – ich habe mir wirklich Sorgen gemacht.

Ich mir zwischenzeitlich auch. Trotzdem ziehe ich ein positives Fazit, weil die Versuchsanordnung toll war. Was Peter Krause als Fassung von Ernst von Salomon geliefert hat, was Arthur als Musik beigesteuert hat , das war alles positiv. Darüber, wie ich es gelesen habe, haben andere zu entscheiden. Es gab zwei Unwägbarkeiten: zum einen die Länge des Textes – hier hätte ich mich von einer halben Stunde trennen müssen – und zum andern der nicht klimatisierte Raum. Was es heißt, mit 70 Jahren bei gemessenen 45 Grad auf der Bühne stehend eine Stunde und zehn Minuten bis zur Pause im geschlossenen Anzug einen expressionistischen Text zu performen, das hatte ich nicht wirklich bedacht.

Nach der Pause haben Sie sogar ein bisschen gewankt...

Als ich noch jünger war, habe ich gern den Erschöpften gemimt, auch beim „Faust“, Sie erinnern sich, vor dem Osterspaziergang. Das war eine Mischung aus wirklicher und gespielter Erschöpfung, weil es zur Figur passt. In Ettersburg war, das haben Sie richtig beobachtet, nichts mehr gespielt.

Sie hätten doch wenigstens das Jackett ausziehen können.

Nein, das widerstrebt meiner Vorstellung vom Kostüm. Wenn ich auf einer Bühne stehe, bin ich der Performer, und der hat keine Freizeitkleidung an. Das Kostüm kann man nicht einfach ablegen. Mich hat eine Ärztin, die im Publikum saß und besorgt war, gefragt, warum ich nicht Wasser getrunken habe.

Das fragte ich mich auch.

Na, weil das nicht zur Performance gehört. Wenn wir beide unsere leichtfüßigen Lesungen machen, schwitz’ ich nicht, leide ich nicht, sondern freue mich, besonders natürlich über Sie, und trinke mein Rotweinchen dabei. Das ist dann eine Performance, die wiederum den zugeknöpften Anzug nicht rechtfertigt.

Ich war froh, dass Sie in Ettersburg wenigstens die rote Mütze abgenommen hatten.

Die trage ich ja nur, wenn ich das lebende Programmheft bin. Das lebende Programmheft ist die rote Mütze, und sowie ich mich in den Performer verwandle, ist die rote Mütze weg. Jetzt haben wir es aber ein für allemal geklärt.

Dann reden wir doch über ihr nächstes Projekt: In einer Woche lesen Sie zur Arena-Ouvertüre in Jena-Neulobeda aus Michael Endes Kinderbuch „Momo“. Ein schöner Text, begleitet von schöner Musik und einem, hoffentlich, schönen, lauen Lüftchen, denn das findet open-air statt.

Stimmt, das ist wirklich eine leichtere Gangart. Ende ist nicht Salomon, um die zwei mal in einem Satz zusammenzuführen. Michael Ende ist ein freundlicher Geschichtenerzähler, und Ernst von Salomon war ein Fanatiker.

Gehen Sie es ohne Jacke an?

Wenn die Witterungsverhältnisse es zulassen, könnte ich ohne Jackett als mein Performerkostüm deklarieren. Dann könnte ich mir, wenn’s kühler wird, aber auch keine Jacke anziehen, höchstens nach der Pause.

Apropos leichtere Lektüre. Momo ist ein Mädchen, das die Gabe besitzt, anderen zuzuhören. Das müsste Ihnen doch sympathisch sein.

Sehr sympathisch. Es ist ja auch ein 68er-Buch. Ende beschwört die moralische Aufbruchstimmung der späten Sechziger. Die grauen Herren, die die Zeit stehlen und verkaufen, sind die Bösen, und ein Straßenkehrer, ein selbst ernannter Stadtführer und das kleine, barfüßige Mädchen Momo sind die Guten.

Sie mimen hoffentlich nicht den rührenden Märchenonkel?!

Nein, da muss man dagegenhalten. Es kommen doch auch junge, Web-affine Leute. So wie der Dramaturg Michael Dissmeier Text und Musik arrangiert hat, werde ich einige Teile davon rappen. Das Melodram, also das Erklingen von Musik mit darübergelegter Sprache, ist ja nichts anderes als Rap von früher.

„Momo“ – Konzert-Hörspiel mit Thomas Thieme und der Jenaer Philharmonie: Freitag, 21. Juni, 20 Uhr; Samstag, 22. Juni, 16 Uhr, Festplatz Neulobeda West