Mit Thomas Thieme sprach Frank Quilitzsch.

Ich habe mir schon mal Ihre Rolle in dem ZDF-Dreiteiler „Preis der Freiheit“, der ab 4. November ausgestrahlt wird, angeschaut, lieber Herr Thieme. Das sitzen Sie als DDR-Devisenbeschaffer Alexander Schalck-Golodkowski am aufgeräumten Schreibtisch, mit zwei Telefonen und West-Computer. Haben Sie da noch alle Fäden in der Hand?

Gegenfrage: Hatte Schalck-Golodkowski jemals alle Fäden in der Hand? Sein Ende deutet eher darauf hin, dass er nicht alles im Griff hatte.

Der Film beginnt mit der Auflösung der KoKo, des DDR-Außenwirtschaftsbereichs der Kommerziellen Koordinierung. Der Chef, also Ihr Alex, hat sich bereits nach Westberlin abgesetzt und sitzt dort in Untersuchungshaft, während seine Mitarbeiter versuchen, Gold, Konten und ihre Haut zu retten. Dann wird zwei Jahre zurückgeblendet, und Sie sagen den Satz: „Wir müssen uns neu orientieren, es ändert sich alles.“ Da ahnt er doch längst, dass die DDR den Bach runtergeht.

Das ist ja das Interessante an dieser Figur. Schalck-Golodkowski ist ein Januskopf. Wie viele andere Bonzen, ein Arbeiterkind, er wurde adoptiert und war, wie man heute sagt, womöglich traumatisiert. Das waren ja auch Kriegskinder. Er ist dann aber in seiner Karriere nicht in die allervorderste Reihe vorgestoßen, wie erich Honecker oder Erich Mielke, sondern in einer Undercover-Position steckengeblieben, die, wie sich herausstellt, eine der lukrativsten war, die in der DDR überhaupt vergeben wurden. Ich finde es erstaunlich, dass Schalck-Golodkowski einerseits ein linientreuer Kommunist gewesen ist, gleichzeitig aber eine Wendung um 180 Grad vollziehen konnte, um unangenehmen Dingen aus dem Weg zu gehen.

Im Grunde spielen Sie doch einen Kapitalisten im real-existierenden Sozialismus, der auf Augenhöhe mit Westfirmen und sogar mit dem bayrischen Ministerpräsidenten Franz Josef Strauß verhandelt und nicht einmal davor zurückschreckt, politische Gefangene in die Bundesrepublik zu verscherbeln. Das alles war sicher auch nicht ganz uneigennützig.

Das meinte ich mit lukrativer Position. Also, wenn einer alles, was das Herz begehrt, hätte haben können, dann war es er.

Sie sehen in der Rolle 15 Jahre jünger aus, haben volles, gescheiteltes Haupthaar. Großes Kompliment an den Maskenbildner?

Ich bitte Sie, das Haar habe ich mir wachsen lassen...

Kein Fifi?

Natürlich ist das eine Perücke.

Aber die Biedermeiermiene, hinter der sich ein eiskalter Machtmensch verbirgt, gelingt Ihnen großartig!

Ja, so wollte ich ihn spielen. Der Brunnenvergifter verbietet sich hier. Es gibt von Shakespeares Hamlet einen Satz, der sich an Schauspieler richtet: „Das übertyrannt den Tyrannen.“ Das soll man bei solchen Rollen nicht machen. Schalck-Golodkowski spielt sich im Grunde von selbst, über die Texte. Denn er hat die Macht. Da muss ich doch nicht noch das Gesicht dazu machen. Alles was die Mächtigen sagen – das gilt dummerweise auch für Donald Trump und Boris Johnson – ist ernst kraft ihrer Position. Und Schalck-Golodkowski hat, das sieht man in dem Film, eine enorme Position.

Im Gegensatz zu manchem seiner Mitarbeiter macht er sich die Hände nicht schmutzig.

Er ist unbeschreiblich clever. Ich weiß gar nicht, woher bei ihm diese Cleverness kommt. Er hat natürlich Ökonomie studiert, aber ich glaube, es war eine Naturgabe. Er hatte den Instinkt, das richtige Bauchgefühl.

1970 hat er zum Thema „Vermeidung ökonomischer Verluste und Erwirtschaftung zusätzlicher Devisen“ promoviert. Einer seiner Doktorväter hieß Erich Mielke, der nicht mal Abitur besaß. Wäre der nicht auch eine Rolle für Sie?

Lieber Herr Quilitzsch, ich war lange Zeit darauf aus, Mielke zu spielen. Aber man wird keinen Film mehr drehen, der sich nur mit dem Stasi-Chef befasst. Und so verhält es sich mit anderen DDR-Größen auch. Jörg Schüttauf hat mal den Honecker gespielt. Er hat es geschafft, diese Figur neu zu erfinden. Ich will nicht gleich sagen, das war wie bei Chaplins „Der große Diktator“, aber man spürt, dass er sich bei ihm bedient hat.