Berlin. Beim Segeln oder Autofahren leiden viele Menschen unter Übelkeit. Nun haben Forscher die verantwortlichen Gehirnzellen identifiziert.

Nicht nur auf dem Schiff kann man seekrank werden. Auch im Auto oder im Flugzeug kann Reisekrankheit auftreten, zum Beispiel bei kurvenreichen Fahrten im Auto oder bei Turbulenzen im Flugzeug. Hinter dieser Krankheit steckt vermutlich ein evolutionär bewährter Mechanismus, der uns vor Vergiftungen schützen soll, vermuten Wissenschaftler.

Symptome: Wie macht sich Reiseübelkeit bemerkbar?

Die Reisekrankheit, auch Kinetose genannt, wird durch Bewegungsreize ausgelöst, die den Gleichgewichtssinn beeinträchtigen. Mögliche Symptome sind Schwindel, Übelkeit und Erbrechen, Schweißausbrüche, Kopfschmerzen bis hin zu Müdigkeit und Benommenheit. Diese Symptome treten häufig bei Auto-, Bus- und Bahnreisen auf, aber auch in Flugzeugen und auf Schiffen, wenn sich das Fahrzeug bewegt und die Augen keinen festen Punkt haben. Auch schwankende Gebäude können Seekrankheit verursachen.

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Ursachen: Wie entsteht die Reisekrankheit?

Sensoren im Mittelohr, in den Gliedmaßen und in den Augen leiten Informationen an das Gehirn weiter, damit sich der Mensch während der Fortbewegung orientieren kann. Die Wissenschaft geht davon aus, dass Reisekrankheit und Übelkeit durch eine Fehlsteuerung der Sinnesorgane verursacht werden: Wenn das Gleichgewichtsorgan eine ganz andere Bewegung wahrnimmt als Augen und Ohren, wird der menschliche Körper überfordert.

Der Reisekrankheit auf der Spur

Aus der Forschung ist bereits bekannt, dass verschiedene Teile des Gehirns, wie der Thalamus und die so genannten vestibulären Kerne, die Sinneseindrücke von Ohren, Augen und Gliedmaßen verarbeiten. Weniger bekannt ist, welche Nervenzellen die Reisekrankheit auslösen. Ein Forscherteam um Pablo Machuca-Márqueza von der Universität Barcelona hat das unbekannte Phänomen der Reiseübelkeit nun genauer untersucht: Ahnungslose Mäuse wurden in eine Plastikröhre gesteckt und auf einen rotierenden Spinner geschnallt, um zu sehen, welche Nervenzellen nach der übelkeitserregenden Karussellfahrt aufleuchten. Die Ergebnisse wurden in der Fachzeitschrift „PNAS“ veröffentlicht.

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Auch Mäuse werden reisekrank

Einige Mäuse zeigten nach den Drehungen Symptome der Reisekrankheit: Die Körpertemperatur der Tiere sank, sie mieden das Futter und kauerten sich in ihren Käfigen zusammen. Die Analyse der Zellen im Gehirn der Tiere zeigte, dass bestimmte Nervenzellen aktiv waren, wenn die Mäuse Krankheitssymptome zeigten.

Einige dieser Nervenzellen erzeugten das Protein VGLUT2. Die Inaktivierung der Neuronen mit dem Protein VGLUT2 unterdrückte die meisten Beschwerden der Reisekrankheit. Die Aktivierung der gleichen Neuronen löste bei den Mäusen ein ähnliches Verhalten wie bei der Reisekrankheit aus, ohne dass sie sich gedreht hatten.

Reiseübelkeit: Forscher identifizieren betroffenes Hirnareal

Die Forscher stellten fest, dass von diesen VGLUT2-exprimierenden Neuronen die Zellen, die einen CCK-A-Rezeptor exprimieren, für die meisten Verhaltensmuster der Reisekrankheit verantwortlich waren. Deshalb führten die Wissenschaftler ähnliche Experimente wie mit den VGLUT2-exprimierenden Neuronen durch: Zum einen blockierten sie die Zellen mit einer chemischen Substanz, zum anderen aktivierten sie sie mit Licht.

Daraus schließen die Forschenden, dass neben den VGLUT2-haltigen Nervenzellen auch die Untergruppe der CCK-A-haltigen Nervenzellen an der Entstehung der Reisekrankheit beteiligt sind, indem sie Bewegungssignale an den so genannten parabrachialen Nucleus im Gehirn weiterleiten. So erklären die Forscher auch die Reiseübelkeit. Denn der parabrachiale Bereich des Gehirns ist dafür bekannt, Appetitunterdrückung, Körpertemperatur und Müdigkeit zu regulieren.

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Medikamente gegen Reiseübelkeit

Die meisten Medikamente gegen Reisekrankheit wirken ähnlich: Sie reduzieren die Aktivität des Gleichgewichtssystems im Gehirn oder schränken die Signale zwischen Gehirn und Darm ein, um Übelkeit und Erbrechen zu verhindern. Allerdings wirken die Medikamente nur, wenn sie vor Ausbruch der Reisekrankheit eingenommen werden; danach sind sie kaum noch wirksam.

Außerdem haben sie zahlreiche Nebenwirkungen: „Sie wirken auf das histaminerge System und verursachen Schläfrigkeit. CCK-A-Rezeptorblocker haben diese unerwünschte Wirkung nicht, sodass sie eine hervorragende Option zur Behandlung der Reisekrankheit wären“, schreibt Co-Autor Albert Quintana von der Universität Barcelona in der Fachzeitschrift „PNAS“.

Medikamente, welche die CCK-A-Rezeptoren blockieren, gibt es bereits in großer Zahl, sie werden aber hauptsächlich zur Behandlung von Magenbeschwerden eingesetzt. Um den Einsatz von CCK-A-Rezeptorblockern auch bei anderen Erkrankungen wie der Reisekrankheit zu ermöglichen, wollen die Forscher in künftigen Studien untersuchen, ob diese Nervenzellen auch bei anderen Schwindelbeschwerden eine Rolle spielen.