Erfurt. Fast 75 Jahre nach Kriegsende stellt sich immer noch die Frage nach dem Verbleib von Opfern der Gewaltherrschaft. Der Volksbund kümmert sich um die Gräber.

Am 27. April 1945 verliert sich in Sachsen die Spur von Fedor Dinnikov. Der Gesuchte wurde in Petrow in Kasachstan geboren und war zum Todeszeitpunkt etwa 33 Jahre alt, sagt seine Urenkelin. Die Studentin ist in diesen Tagen zu Gast in Thüringen, weil Suhl seine seit 50 Jahren währende Städtepartnerschaft mit Kaluga feiert. Ihren Besuch nutzte sie, um bei Henrik Hug, dem Geschäftsführer des Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge in Thüringen, Rat zu suchen: Er soll ihr helfen, mehr über das Schicksal und die letzte Ruhestätte ihres Vorfahren herauszufinden.

„Als Kriegsgräber fassen wir alle Gräber der Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft zusammen.“ Henrik Hug, Geschäftsführer Deutsche Kriegsgräberfürsorge in Thüringen. Foto: red
„Als Kriegsgräber fassen wir alle Gräber der Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft zusammen.“ Henrik Hug, Geschäftsführer Deutsche Kriegsgräberfürsorge in Thüringen. Foto: red © zgt

Der Familie ist das nach bald einem Dreivierteljahrhundert noch immer ein großes Anliegen. Dabei wissen die Nachgeborenen nicht viel: So konnte die Urenkelin Hug nicht sagen, ob Dinnikow als Soldat beziehungsweise Kriegsgefangener oder Zwangsarbeiter in Deutschland war.

Es sind solche Fälle, die zeigen, welche Bedeutung solche Gräber, Unterlagen oder Erinnerungstafeln haben. Aktuell laufen Projekte zur Sanierung beziehungsweise Neugestaltung der sowjetischen oder russischen Kriegsgräberstätten in Zusammenarbeit mit den jeweiligen kommunalen Verwaltungen, dem Landesverwaltungsamt und dem Büro für Kriegsgräberfürsorge bei der Russischen Botschaft in Obergrunstedt bei Weimar, in Espenfeld bei Arnstadt sowie im Richelsdorfer Tal bei Gerstungen und in Untersuhl.

Im Richelsdorfer Tal geht es um eine Grabstätte, die zu DDR-Zeiten oberirdisch beräumt worden war, weil sie im unmittelbaren Grenzgebiet lag. Bis zu 90 sowjetische und gegebenenfalls auch westalliierte Kriegsgefangene könnten dort liegen. Wenn die Genehmigung von russischer Seite vorliegt, sollen deren sterblichen Überreste in die russische Kriegsgräberstätte nach Untersuhl umgebettet werden. Sollten sich auch sterbliche Überreste einstigen US-Soldaten finden, würden diese voraussichtlich in die USA überführt werden, so Hug.

Handlungsbedarf zur würdigen sowie gesetzeskonformen Gestaltung von sowjetischen beziehungsweise russischen Kriegsgräberstätten gibt es nach seinen Angaben unter anderem in Mühlhausen, Bad Langensalza, Sömmerda und Nordhausen. Saniert wurde beispielsweise der sowjetische Ehrenfriedhof in Bechstedtstraß im Jahr 2012. Eingeweiht wurden des weiteren die Kriegsgräberstätte Nobitz 2013 und die restaurierte Kriegsgräberstätte im südthüringischen Dietzhausen 2014.

Begriff Kriegsgrab

„Unter dem Begriff Kriegsgrab fassen wir alle Gräber der Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft zusammen. Kriegsgräber sind also nicht nur Gräber von Militärangehörigen und nicht nur Gräber von Menschen, die bei Kriegshandlungen ums Leben kamen“, sagt Hug. Der Geschäftsführer des Volksbundes weiß, dass der im deutschen Gräbergesetz verwendete Begriff „Opfer“ zu Diskussionen führe. „Opfer“ in diesem Sinne können auch „Täter“ gewesen sein. So ruhen etwa auf einer Kriegsgräberstätte auf dem Weimarer Hauptfriedhof bei alliierten Luftangriffen getötete Zwangsarbeiter und KZ-Häftlinge neben SS-Wachmannschaften. „Bomben machen keine Unterscheidung, wen sie töten“, so Hug.

Personen aus der Sowjetunion wurden bereits ab 1941 ins „Deutsche Reich“ und damit auch nach Thüringen als Kriegsgefangene und Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter verschleppt. „Wir kennen aber auch zahlreiche Gräber von sowjetischen Soldaten, die nach Ende des Krieges hier verstarben“, sagt Hug und verweist etwa auf die Kriegsgräber im Weimarer Ilmpark, die mit Todesdaten bis 1952 noch unter das Gräbergesetz fallen. Ruhestätten von Angehörigen der Sowjetarmee, die danach bis 1992 verstarben, zählen nicht zu den Kriegsgräbern.

Im Fall Fedor Dinnikov hat der Geschäftsführer des Volksbundes bei einer ersten Recherche festgestellt, dass es in der Kriegsgräberstätte in Stendal ein Gräbernachweis für einen Mann gibt, dessen Name sehr ähnlich klingt. Dieser Spur will er nun weiter nachgehen.

www.volksbund.de / thueringen/kriegsgraeber-in-thueringen.html