Berlin. Wegen ihrer Kinder lernen zwei Frauen schwimmen. Warum es so gefährlich ist, dass es in Deutschland immer mehr Nichtschwimmer gibt.

Mit kräftigen Armzügen bewegt sich Meety Unni an einem Mittwoch Ende Mai durchs Schwimmbecken im Sport Centrum Siemensstadt im Nordwesten Berlins. Die 36-Jährige hat sich eine gelbe Schwimmnudel unter die Arme geklemmt und hört sich die Hinweise von Schwimmlehrer Andreas Wollschläger an. Der 62-Jährige ist an diesem Tag kurzfristig für eine Kollegin eingesprungen.

Meety Unni ist eine von 3,5 Millionen Jugendlichen und Erwachsenen in Deutschland, die laut einer Forsa-Umfrage von 2022 im Auftrag der Deutschen Lebensrettungsgesellschaft (DLRG) nicht schwimmen können. Experten gehen zusätzlich von einer Dunkelziffer aus.

Ziel vom Schwimmkurs: Ohne Schwimmhilfe über Wasser bleiben

Der Anfängerkurs in der Berliner Schwimmhalle findet an diesem Tag zum zehnten Mal statt. Insgesamt geht er über zwölf Wochen. Die Leiterin der Schwimmschule, Annika Gellert, geht am Beckenrand entlang. Sie lächelt, während sie über die Fortschritte der Schwimmschülerinnen spricht: „Frau Unnis Armzug ist auch im Vergleich zum Beginn der Stunde viel kräftiger geworden.“ Das Zusammenspiel zwischen Beinen und Armen der 36-Jährigen ist beim Brustschwimmen noch nicht synchron. „Das braucht es aber auch nicht unbedingt fürs Seepferdchen“, erklärt Gellert.

Meety Unni und ihre 34-jährige Mitschwimmerin Sayan T. haben sich ein Ziel für diesen Kurs gesteckt: ohne Nudel über Wasser zu bleiben. Beide Frauen sind nicht in Deutschland zur Schule gegangen und hatten als Kind in ihren Heimatländern keinen Schwimmunterricht. „Meine Kinder dachten lange, dass ich schwimmen könnte, weil wir nur im flachen Wasser gebadet haben“, berichtet Sayan T. Sie habe erst jetzt Zeit gefunden, einen Schwimmkurs zu besuchen.

Schwimmlehrer Andreas Wollschläger führt die richtigen Armbewegungen beim Brustschwimmen vor. Von Links schauen Sayan T. und Meety Unni zu.
Schwimmlehrer Andreas Wollschläger führt die richtigen Armbewegungen beim Brustschwimmen vor. Von Links schauen Sayan T. und Meety Unni zu. © FUNKE Foto Services | Sergej Glanze

Plätze beim Schwimmkurs für Erwachsene sind begrenzt

Bei Meety Unni gab die sechsjährige Tochter den Ausschlag: „Als ich gesehen habe, wie viel Freude meine Tochter beim Schwimmkurs hatte, wollte ich das auch lernen.“ Auch ihr Mann habe inzwischen Lust, einen Kurs zu besuchen.

Das sei aber gar nicht so einfach, sagt Schwimmschulleiterin Gellert. Erst seit 2021 biete die Schule regelmäßig Erwachsenenkurse an und „die Wartelisten sind lang“. Die Anfängerkurse haben nur vier Plätze. Denn eine intensive Betreuung sei für die Erwachsenen im Vergleich zu Kindern von Bedeutung, weil einige Teilnehmer negative Vorerfahrungen hätten, erklärt Gellert. „Die Wassergewöhnung und -bewältigung dauert meistens länger als bei den Kindern, weil Erwachsene zu viel denken.“

Zahl der Nichtschwimmer seit 2017 deutlich gestiegen

In der repräsentativen Forsa-Umfrage der DLRG von 2022 outeten sich fünf Prozent der Befragten ab 14 Jahren als Nichtschwimmer. „Das bedeutet, dass in Deutschland knapp 3,5 Millionen Jugendliche und Erwachsene gar nicht schwimmen können“, sagt der DLRG-Bundessprecher Martin Holzhause. 2017 seien es drei Prozent Nichtschwimmer gewesen und damit etwa 1,4 Millionen Menschen weniger. „Wir gehen davon aus, dass die Anzahl noch höher ist, weil sich nicht alle Nichtschwimmer das auch eingestehen oder sich falsch einschätzen“, so Holzhause.

Hinzu kämen acht Prozent, die sich für schlechte Schwimmer halten. „Wir gehen davon aus, dass auch unter den 40 Prozent der Befragten, die sich für durchschnittliche Schwimmer halten, viele unsichere Schwimmer sind. Die also keine Viertelstunde am Stück schwimmen können“, sagt der DLRG-Sprecher weiter.

Holzhause erklärt sich den Anstieg der erwachsenen Nichtschwimmer mit einem Grund, der auch bei den Kindern eine Rolle spielt: Durch die Corona-Pandemie konnte für die Grundschüler der Schwimmunterricht nicht stattfinden, und so verdoppelte sich die Zahl der Nichtschwimmer von 2017 noch 10 Prozent auf 2022 20 Prozent. „Vielleicht fühlen sich einige Erwachsene unsicherer als 2017 noch, weil sie durch die pandemische Situation seltener im Wasser waren“, so Holzhause.

Opfer von Badeunfällen sind oft Nichtschwimmer

Dass die Geflüchteten aus der Ukraine, einem Land mit vielen Nichtschwimmern, einen starken Einfluss auf die Forsa-Befragung hatten, bezweifelt der DLRG-Sprecher: In den Jahren vor 2017 seien auch Geflüchtete aus Ländern mit einem niedrigen Schwimmfähigkeitsgrad gekommen.

„Ich finde, schwimmen sollte jeder können“, sagt Annika Gellert. Martin Holzhause sieht das genauso: „Am Pfingstwochenende sind ein Mann und sein siebenjähriger Sohn bei einem Badeunfall im Rhein gestorben. Beide waren Nichtschwimmer.“ Ob die beiden überlebt hätten, wenn sie hätten schwimmen können, lässt sich nur spekulieren. „Fest steht, dass bei den meisten Einsätzen der DLRG Nichtschwimmer und sehr unsichere Schwimmer gerettet werden“, erklärt Holzhause.

Als größeren Einfluss auf die Schwimmfähigkeit der Deutschen als Corona sieht der DLRG-Sprecher, dass seit dem Jahr 2000 mehrere Hundert Schwimmbäder ersatzlos geschlossen wurden, oft wegen Sanierungsbedarf: „Heute hat jede vierte Grundschule in Deutschland keinen Zugang zu Schwimmbädern, sodass kein Schwimmunterricht stattfinden kann“.