Sydney. In diesem Winter schlägt die Grippe in Australien voll zu. Kinder sind besonders hart betroffen. Was die Europäer jetzt lernen können.

Selbst nach der Pandemie hatte Australien es mit geschickten Maßnahmen geschafft, extreme Grippewellen zu vermeiden. Doch in diesem Winter schlägt die Grippe auf der Südhalbkugel voll zu. Besonders betroffen sind junge Menschen. Zwei Kinder sind bereits an der Grippe gestorben. Welche Lehren kann und sollte Europa daraus ziehen?

Wenn in Europa Sommer ist, herrscht auf der Südhalbkugel und damit auch in Australien Winter. Deswegen erlebt das Land seine Grippewelle bereits ein halbes Jahr vor Deutschland. Während der Pandemie haben Reisebeschränkungen, Abschottung, Maskentragen und Hygienemaßnahmen die Grippe massiv eingedämmt. Und auch im letzten Jahr gelang es den Australiern, der Viruserkrankung dank Gratis-Impfungen und dem erneuten (freiwilligen) Griff zur Maske unter Kontrolle zu halten.

Doch der aktuelle Winter hat die Grippe in Australien nun mit voller Wucht zurückgebracht. Dieses Jahr trifft es vor allem viele Kinder hart, wo die Krankheit nach der langen Abschottung während der Corona-Zeit auf untrainierte Immunsysteme traf. Insgesamt wurden den australischen Aufsichtsbehörden bis Mitte Juli fast 175.000 Influenzafälle gemeldet, in den letzten zwei Wochen davon waren es 22.000. Die Zahlen liegen damit wieder etwa auf dem Niveau der Jahre vor der Pandemie.

Grippewelle in Australien: Mehr Fälle unter Kindern

Doch die Daten des Gesundheitsministeriums zeigen auch, dass landesweit die meisten Grippefälle bei Kindern bis 14 Jahren auftraten. „Wir sehen viele Kinder, die entweder zum ersten Mal an Grippe erkranken oder seit einigen Jahren keine Grippe mehr hatten“, berichtete Phil Britton, außerordentlicher Professor für pädiatrische Infektionskrankheiten an der Universität Sydney, dem lokalen Sender ABC.

Inzwischen sind über 160 Menschen gestorben, darunter ein elfjähriges Mädchen aus dem Bundesstaat Queensland und eine Neuntklässlerin aus New South Wales, dem Bundesstaat, in dem Sydney liegt. Laut Ian Barr vom Peter-Doherty-Institut für Infektionen und Immunität in Melbourne kämpft Australien in diesem Jahr mit Influenza A (H1N1) wie auch Influenza B als vorherrschenden zirkulierenden Viren.

Beide befallen bevorzugt Kinder und nicht Erwachsene oder ältere Menschen, obwohl es durchaus auch Fälle in anderen Altersgruppen gibt. In solch einem Jahr käme es stets zu mehr Fällen und damit auch zu schwerwiegenderen Fällen, die einen Krankenhausaufenthalt und folglich auch Todesopfer forderten, erklärte Barr. Manche Menschen würden dabei direkt durch die Influenza-Infektion oder durch sekundäre bakterielle oder Pilzinfektionen sterben.

Die Grippewelle in Australien betrifft vor allem Kinder und Jugendliche.
Die Grippewelle in Australien betrifft vor allem Kinder und Jugendliche. © Shutterstock / Tomsickova Tatyana | Tomsickova Tatyana

Impfmüdigkeit nach der Pandemie

Trotz mehrerer Warnungen zu Beginn der Saison sind die Impfraten in Australien in diesem Jahr niedrig geblieben. Nur etwa ein Drittel der Bevölkerung ist gegen die Grippe geimpft, und die niedrigsten Raten sind bei Kindern im Alter von fünf bis 14 Jahren zu verzeichnen. Erreichte das Land im vergangenen Jahr bei den unter Fünfjährigen noch eine Impfrate von 37 Prozent waren es in diesem Jahr nur 25,5 Prozent und bei älteren Kindern zwischen 5 und 15 Jahren sogar nur 15 Prozent. Der Grippe-Experte Barr vermutet hinter dieser rückläufigen Tendenz eine gewisse Impfmüdigkeit nach den mehrfachen Covid-Impfungen.

Die Impfraten in allen Altersgruppen – selbst in der Altersgruppe der über 65-Jährigen – seien in diesem Jahr gesunken. Es seien nur 36 Prozent aller Altersgruppen geimpft worden, verglichen mit dem letzten Jahr, wo 44 Prozent erreicht wurden, so Barr.

Neben der Impfmüdigkeit liegt dies laut Barr vermutlich auch an der Tatsache, dass die meisten Bundesstaaten im vergangenen Jahr über einen gewissen Zeitraum hinweg die Grippeimpfung kostenlos gemacht hatten, während dies aktuell nur noch die Staaten Westaustralien und Queensland tun. Dort sei die Impfung in der jüngeren Bevölkerung aber bisher trotzdem nicht gut angenommen worden, wie Barr gestand.

Grippewelle trifft Kinder: Warnung für Europa

Inzwischen ist der Winter in Australien aber auch schon so weit fortgeschritten, dass eine Grippeimpfung kaum mehr Sinn macht – vor allem da der Impfstoff mindestens zwei Wochen braucht, um seine Wirkung zu entfalten. Inzwischen raten australische Mediziner daher eher zum Einsatz von antiviralen Mitteln, sogenannten Virostatika, um Grippekranke wieder schneller auf die Beine zu bekommen und Komplikationen zu verhindern.

Laut Barr sollte Europa aus den Fehlern Australiens während der aktuellen Grippesaison lernen. Der Experte befürchtet, dass es auch in Europa über den Winter 2023/2024 hinweg schwieriger werden könnte, die nach der Pandemie „impfmüde“ Bevölkerung zu einer Grippeimpfung zu bewegen und eine hohe Impfrate zu erreichen.

Vor allem Länder, deren medizinische Systeme über ein hohes Maß an Telemedizin und virtuellen Konsultationen verfügen würden, müssten damit rechnen, dass ihre Influenza-Impfraten sinken werden, meinte Barr. Denn vor allem ältere Menschen würden auf diese Weise oft die Chance auf eine Impfung verpassen.

Außerdem verwies der Experte auf die Auswirkungen, die die diesjährige Grippe auf Kinder in Australien gehabt habe. Gegen solch tragische Fälle könnten sich die Menschen in Europa derzeit noch mit einer Grippeimpfung wappnen.