Berlin. Forschende aus den USA haben es geschafft, mit einem Computer Gedanken zu erkennen – zumindest grob. Die Technik sorgt für Bedenken.

Es klingt genauso faszinierend wie beängstigend: Forschende aus den USA haben es mit Hilfe von Hirnscannern und Künstlicher Intelligenz (KI) geschafft, bestimmte Arten von Gedanken zu erfassen – zumindest grob. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler veröffentlichten ihre Erkenntnisse am Montag im Fachblatt "Nature Neuroscience". Demnach gelang des den Forschenden der University of Texas mit einem von ihnen entwickelten Decoder und sogenannten fMRT-Bildern in bestimmten experimentellen Situationen ungefähr wiederzugeben, was den willigen Probandinnen und Probanden durch den Kopf ging.

Diese Hirn-Computer-Schnittstelle, bei der keine Operation notwendig ist, könnte irgendwann Menschen helfen, die ihr Sprachvermögen zum Beispiel in Folge eines Schlaganfalls verloren haben, so die Hoffnung der Forschenden. Die Studienautorinnen und -autoren betonen, dass mit ihrer Technologie nicht heimlich Gedanken ausgelesen werden könnten.

Hirn-Computer-Schnittstellen bisher nur mit Operationen möglich

Hirn-Computer-Schnittstellen (Brain-Computer-Interfaces; BCI) beruhen auf dem Prinzip, menschliche Gedanken durch technische Schaltkreise zu lesen, zu verarbeiten und in Bewegungen oder Sprache zu übersetzen. Auf diese Weise könnten etwa Gelähmte per Gedankensteuerung ein Exoskelett steuern oder Menschen mit Locked-In-Syndrom, also einer fast vollständigen Lähmung, mit ihrer Außenwelt kommunizieren. Viele der Systeme, die derzeit erforscht werden, erfordern jedoch die operative Implantation von Elektroden.

Anders ist das bei dem neuen Ansatz der Forschenden aus Texas. Dabei bildet ein Computer auf Grundlage von Hirnaktivitäten Wörter und Sätze. Diesen Sprachdecoder trainierten die Forschenden, indem sie drei Probanden 16 Stunden lang Geschichten hören ließen, während diese in einem funktionellen Magnetresonanztomographen (fMRT) lagen. Mit einem solchen fMRT können Durchblutungsänderungen von Hirnarealen sichtbar gemacht werden, die wiederum ein Indikator für die Aktivität der Neuronen sind.

Im nächsten Schritt bekamen die Probandinnen und Probanden neue Geschichten zu hören, während ihr Gehirn wieder in der fMRT-Röhre untersucht wurde. Der zuvor trainierte Sprachdecoder war nun in der Lage, aus den fMRT-Daten Wortfolgen zu erstellen, die den Forschenden zufolge den Inhalt des Gehörten weitgehend korrekt wiedergaben. Das System übersetzte dabei die im fMRT aufgezeichneten Informationen nicht in einzelne Wörter. Vielmehr nutzte es die im Training erkannten Zusammenhänge sowie Künstliche Intelligenz, um bei neuen Geschichten die gemessenen Hirnaktivitäten den wahrscheinlichsten Phrasen zuzuordnen.

Forschung aus den USA: Schnittstelle fehleranfällig

Ob die Technologie allerdings wirklich großflächig eingesetzt werden könnte, ist laut Experteneinschätzungen fraglich. Insgesamt sei der Decoder zwar dahingehend erfolgreich, dass viele ausgewählte Phrasen bei neuen, also nicht trainierten, Geschichten Wörter des Originaltextes enthielten oder zumindest einen ähnlichen Bedeutungsgehalt aufwiesen, sagt etwa Rainer Goebel, Leiter der Abteilung für kognitive Neurowissenschaften an der niederländischen Maastricht-Universität, in einer unabhängigen Einordnung.

"Es gab aber auch recht viele Fehler, was für eine vollwertige Hirn-Computer-Schnittstelle sehr schlecht ist, da es für kritische Anwendungen – zum Beispiel Kommunikation bei Locked-In-Patienten – vor allem darauf ankommt, keine falschen Aussagen zu generieren." Noch mehr Fehler wurden generiert, als die Probandinnen und Probanden sich eigenständig eine Geschichte vorstellen sollten oder einen kurzen animierten Stummfilm zu sehen bekamen, und der Decoder Ereignisse darin wiedergeben sollte.

Für Goebel sind die Resultate des vorgestellten Systems insgesamt zu schlecht, um als vertrauenswürdige Schnittstelle zu taugen: "Ich wage die Vorhersage, dass fMRT-basierte BCIs (leider) wohl auch in Zukunft auf Forschungsarbeiten mit wenigen Probanden – wie auch in dieser Studie – beschränkt bleiben werden."

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Ethische Bedenken bei Hirn-Computer-Schnittstellen

Auch Christoph Reichert vom Leibniz-Institut für Neurobiologie ist skeptisch: "Wenn man sich die gezeigten Beispiele des präsentierten und rekonstruierten Textes ansieht, wird schnell klar, dass diese Technik noch weit davon entfernt ist, einen "gedachten" Text zuverlässig aus Gehirndaten zu generieren." Trotzdem deute die Studie an, was möglich sein könne, wenn sich die Messtechniken verbesserten.

Hinzu kommen ethische Bedenken: Je nach künftiger Entwicklung könnten Maßnahmen zum Schutz der geistigen Privatsphäre nötig sein, schreiben die Autorinnen und Autoren selbst. Allerdings zeigten Versuche mit dem Decoder, dass sowohl für das Training, als auch für die folgende Anwendung die Kooperation der Probandinnen und Probanden nötig war.

"Wenn diese während des Dekodierens im Kopf zählten, Tiere benannten oder an eine andere Geschichte dachten, wurde der Prozess sabotiert", beschreibt Jerry Tang. Ebenso schnitt der Decoder schlecht ab, wenn das Modell mit einem anderen Menschen trainiert worden war. (csr/ mit dpa)