Lengenfeld unterm Stein/Heyerode. Apotheker Eberhard Scharf aus dem Eichsfeld wird für einige Jahre Abgeordneter und kehrt dann in seinen Beruf zurück.

Der Eichsfelder Eberhard Scharf hatte nicht damit gerechnet, dass er von seinem hinteren Listenplatz in die Volkskammer einziehen würde. Im Herbst 1989 hatte er Kontakt nicht nur zum bürgerlichen Lager, wie er sagt, sondern auch zum Neuen Forum. „So hat es sich ergeben, dass ich bei bestimmten Entwicklungen vorne mit dabei war.“

Bei der Kandidatenaufstellung war eine gewisse Sorge spürbar: „Wir wussten nicht, ob das so bleibt oder ob sich etwas zurückentwickelt“, erinnert er an die damalige politische Lage. Er habe sich „überreden lassen, dann treu und brav Wahlkampf gemacht“. Die CDU, der Scharf seit 1985 angehörte, um dem aktiven SED-Parteisekretär am Arbeitsplatz zu entgehen, erreichte am 18. März 1990 fast 50 Prozent. Aus den drei Bezirken Erfurt, Gera und Suhl, die bald darauf zum Land Thüringen wurden, zogen für die CDU 33 Mitglieder als Abgeordnete ins Parlament ein, während die SPD auf zehn und die PDS auf sieben Volkskammerabgeordnete kam. Nach einigem Überlegen war sich Scharf sicher: „Ich ziehe das durch“. Dabei spielte auch eine Rolle, dass jeder, der sein Mandat nicht annahm, als vermeintlicher Stasi-Zuträger galt – und Scharf nicht in diesen falschen Ruf geraten wollte. An die Stimmung bei der ersten Fraktionssitzung am 27. März erinnert er sich noch gut: „Wir waren ein bisschen ängstlich. Was kommt jetzt?“ Es hieß gleich: Ihr seid ein Arbeitsparlament. „Ich habe mich richtig reingekniet. Wir waren als Volkskammer sehr fleißig: viele Tagungen, viele Gesetze, viele Beschlüsse. Wahrscheinlich war das weit mehr, also sonst ein Parlament das in dieser kurzen Zeit hinbekommen hat.“

Der Eichsfelder, Jahrgang 1956, katholisch erzogen, hatte keine Jugendweihe, nur den Grundwehrdienst absolviert und war dennoch zum Studium zugelassen worden. Am 14. März – wenige Tage vor der Wahl – machte er in Berlin seinen Abschluss als Fachapotheker für Allgemeinpharmazie; da war er schon Dr. rer. nat. und bestens für einen Karriereweg in der Pharmazie gerüstet. „Mir war klar, dass ich nach der Volkskammerzeit nicht weiter Politiker sein wollte“, sagt Scharf im Rückblick. Während er in der Volkskammer daran mitwirkte, dass der Weg zur Einheit geordnet beschritten werden konnte, wurden im Land die beruflichen Karten neu gemischt und die Apotheken privatisiert. Scharf übernahm am 16. November 1990 eine kleine Einrichtung mit zwei Mitarbeitern. Im Laufe von bald 30 Jahren konnte er diese gut aufstellen, so dass ihm um eine Nachfolge in zwei, drei Jahren nicht bange sein muss. Dann will der Apotheker in Pension gehen.

Scharf stammt aus dem Grenzgebiet, nur wenige Hundert Meter vom Zaun entfernt. In den Westen wollte er nicht. Als Volkskammerabgeordneter hatte er das Ziel, den Wählerwillen umzusetzen. Von Tag zu Tag wurde im Frühjahr deutlicher, wie nötig eine schnelle Währungsunion sein würde. Scharf, der damals wie andere Abgeordnete auch in einem Ledigenwohnheim in der Normannenstraße untergekommen war, erinnert sich daran, wie sehr sich die Ereignisse überschlugen. „Oft hatte sich die Situation über Nacht derart weiterentwickelt, dass man frühmorgens ein Briefing brauchte, um reagieren zu können“, sagt Scharf.

Ende Mai, Anfang Juni sei ihm klar geworden, wie rasant der schnelle Weg zur Einheit vonstatten gehen würde: „Die Zeit überholt uns“, dachte er. Die DDR war mit dem 3. Oktober 1990 Geschichte.