Berlin. Die Polizei warnt vor einer neuen Erpressungs-Form im Netz. Ein Ermittler erklärt, was dahintersteckt und wer besonders gefährdet ist.

Die erste Nachricht von Kayla bekommt Dominik an einem Freitagmorgen per Facebook. „Wie geht’s dir?“, will die attraktive Unbekannte von ihm wissen. Der 19-Jährige schreibt zurück, ein paar Mal geht es hin und her. „Wo wohnst du? Was machst du gerne?“, fragt Kayla ihn. Sie selbst ist neu in der Gegend, will Freunde finden – behauptet sie. Von sich selbst erzählt die junge Frau auch: „Meine Hobbies sind Sport und ich liebe Sex – magst du auch Sex?“

Kayla schickt Dominik Bilder, auf denen sie sich auszieht. „Zeig doch auch mal ein Bild von dir ...“, fordert sie ihn auf. Er tut es. Zurück kommt ein Screenshot: Dominiks Fotos, fertig zum Versenden an seine Kontakte. Dazu die Nachricht, in gebrochenem Deutsch: „Tun Sie, was ich Sie verlange und alles wird gut.“ Wenn Dominik nicht wolle, dass seine Bilder an seine Familie und Freunde verschickt werden, solle er einen bestimmten Betrag überweisen. Ohne es zu wissen, ist er Opfer von Sextortion geworden.

Sextortion: Das steckt hinter der neuen Erpressungs-Masche auf Facebook und Co.

Alle Angaben zu Dominiks Person sind geändert, aber seinen Fall hat es gegeben. Schildern kann ihn Kriminalhauptkommissar Michael Hebig, auf dessen Schreibtisch er landete. Die Polizei unterscheidet zwischen zwei Formen von Sextortion oder zu Deutsch „Sexpressung“: Bei der anonymisierten Form verschicken die Täter wahllos Spam-Mails, in denen gedroht wird, persönliche Bilder oder Daten zu veröffentlichen. Anders läuft es, wenn sie sich ihr Opfer gezielt aussuchen, wie in Dominiks Fall.

„Die Sextortion läuft eigentlich immer nach dem gleichen Schema ab“, so Michael Hebig. „Die Täter geben sich als attraktive Frauen aus und nähern sich ihren Opfern in den Sozialen Netzwerken an.“ Dabei haben sie es überwiegend auf junge Männern zwischen 16 und 30 Jahren abgesehen, die sie auf Instagram, Facebook und anderen Plattformen auskundschaften. Um Gemeinsamkeiten zu suggerieren, geben sie in ihrem Fake-Profil einen Wohnort an, der in der Nähe ihres Opfers liegt oder schicken Anfragen an gemeinsame Freunde, um Gemeinsamkeiten zu suggerieren.

„Meistens fängt so ein Chat ganz belanglos an, driftet aber recht schnell in Richtung Sex ab“, erklärt der Ermittler weiter. Dann gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder es werden intime Bilder verschickt oder aus dem Schreiben wird ein Videochat. „Die Geschädigten bekommen dann oft ein Video zu sehen von einer Frau, die ich auszieht, aber immer ohne Ton – das ist die erste Auffälligkeit“, merkt Hebig an. Die Polizei vermute, dass in solchen Fällen sogar sogenannte Chatbots, also Künstliche Intelligenzen, zum Einsatz kommen. „Wenn das Opfer darauf einsteigt und sich selbst vor der Kamera etwa nackt zeigt, wird das Video vom Täter mitgeschnitten“, erklärt Hebig. „In jedem Fall bricht das Gespräch abrupt ab und es folgt die Geldforderung.“

Ermittler: Das sollten Opfer von Sextortion niemals tun

So war es auch bei Dominik. Der 19-Jährige tut das einzig Richtige und verständigt die Polizei. Das geforderte Geld überweist er nicht, wie es die Beamten empfehlen. „Wenn die Betroffenen zahlen, wiederholen die Täter die Forderung – das ändert also nichts“, sagt Ermittler Michael Hebig. Stattdessen sollten Betroffene Anzeige erstatten und das Profil des Betrügers bei Instagram, Facebook und Co. melden. Eine gewisse Skepsis vor Fremden sei im Internet immer ratsam, so Hebig. Auch sollten Nutzer ihre Privatsphäre-Einstellungen überprüfen: „Meistens dürfen Freunde sehen, wer mit einem befreundet ist, schon das kann zum Problem werden.“

Opfer von Sextortion müssen fürchten, dass ihre intimen Bilder oder Videos im Internet geteilt werden. Viele schämen sich so sehr, dass sie damit nicht zur Polizei gehen.
Opfer von Sextortion müssen fürchten, dass ihre intimen Bilder oder Videos im Internet geteilt werden. Viele schämen sich so sehr, dass sie damit nicht zur Polizei gehen. © dpa | Karl-Josef Hildenbrand

Hoffnung, die Täter zu ergreifen, besteht kaum. „Unsere Ermittlungen stoßen da an ihre Grenzen, wo die IP-Adressen der Täter ins Ausland führen“, erklärt Michael Hebig. Und das tun sie oft. Die Betrüger säßen im Oman, an der Elfenbeinküste oder auf den Philippinen. Sie nutzen möglichst anonyme Zahlungsmethoden, die sich schwer zurückverfolgen lassen. Bei ihren Forderungen steigen sie oft hoch ein, fordern mehrere tausend Euro. Geht ein Opfer nicht auf ihre Forderung ein oder kann nicht zahlen, reduzieren sie auf den niedrigen dreistelligen Bereich.

Fälle von Sextortion nehmen in Deutschland zu

Die Sextortion ist ein recht junges Phänomen. Verlässliche Fallzahlen für ganz Deutschland gibt es bislang nicht, denn in den Polizeilichen Kriminalstatistiken der Länder werden Sextortion-Fälle nicht gesondert erfasst. Sie fallen unter den Tatbestand „Erpressung auf sexueller Grundlage“. Die bayerischen Behörden verzeichneten im Jahr 2022 rund 5000 Fälle, 200 davon beschäftigten die Kriminalpolizei Würzburg. „Tendenz steigend“, wie Michael Hebig betont. Diesen Eindruck bestätigen auch Zahlen aus anderen Bundesländern: So gab es etwa 2018 in NRW 480 Fälle. Vier Jahre später waren es schon 785. Die Aufklärungsquote in beiden Jahren: rund sieben Prozent.

Noch wesentlich höher dürfte laut Michael Hebig die Dunkelziffer liegen. Die Scham derjenigen, die Opfer von Sextortion werden, ist hoch. Die Anzeigebereitschaft entsprechend niedrig. „Die jungen Männer sind alle von Scham überkommen und haben wahnsinnige Angst, dass ihre Bilder plötzlich in einem WhatsApp Chat der Schule auftauchen“, weiß Hebig aus Erfahrung. Viele fragten sich, wie ihnen das passieren, und wie sie „so blöd“ sein konnten. Diese Fragen bekämen manche auch von ihren Eltern gestellt. „Denen erklären wir, dass ihr Sohn nicht als einziger betroffen ist und dass sie froh sein können, dass ihr Kind ihnen so viel Vertrauen entgegenbringt und mit ihnen zur Polizei geht.“

Erpressung im Netz: Was Ermittler jetzt fordern

Die große Hoffnung liegt auf der Prävention, betont der Kommissar: „Wir müssen versuchen, mehr für das Thema zu sensibilisieren, damit es überhaupt nicht zu solchen Vorfällen kommt.“ Was es braucht? Noch mehr Aufklärung durch die Behörden, in den Medien und vor Ort in den Schulen. Ein „trügerisches Gefühl von Sicherheit“ verleite gerade junge Menschen, im Internet leichtfertig mit privaten Information umzugehen. Schon hier könne man ansetzen. Auch sei das Phänomen der Sextortion sei noch nicht allzu bekannt – das müsse sich ändern.

Dominik hatte Glück. Seine Bilder wurden bisher nicht geteilt. Womöglich weil es für die Betrüger unrentabel wurde, nachdem er nicht auf ihre Geldforderungen einging. Aber viele Opfer von Sextortion kommen nach Michael Hebigs Erfahrung nicht so glimpflich davon. „Ziel ist es deshalb, dass niemand Opfer wird.“