Berlin. Nach der Bluttat von Prag sind die Hintergründe weiter rätselhaft. Der Schütze könnte auch für einen Doppelmord verantwortlich sein.

Es handelt sich wohl um die schlimmste Tat mit Schusswaffen in der Geschichte der seit 1993 unabhängigen Tschechischen Republik: Ein bewaffneter Angreifer hat am Donnerstagnachmittag an der Karls-Universität in Prag zahlreiche Menschen getötet und verletzt. Insgesamt 14 Menschen sowie der Täter seien gestorben, sagte der Leiter der Prager Polizei, Petr Matejcek, am Freitag. 25 Personen wurden verletzt – davon zehn schwer bis lebensgefährlich. Unter ihnen sollen sich auch drei Ausländer befinden. Der Schütze soll sich nach Polizeiangaben selbst getötet haben. Zwischenzeitlich war von mehr als 15 Toten die Rede gewesen.

Man gehe davon aus, dass es sich bei dem mutmaßlichen Täter um einen 24 Jahre alten Studenten der Hochschule handele, der kurz zuvor seinen Vater ermordet habe und deswegen gesucht worden sei, erklärte Polizeichef Martin Vondrasek. Die formelle Identifikation stehe aber noch aus. Der mutmaßliche Täter habe sich wahrscheinlich von Amokläufen im Ausland inspirieren lassen. Der Vorfall ereignete sich an der Philosophischen Fakultät der Karls-Universität am Jan-Palach-Platz im Zentrum der tschechischen Hauptstadt. An der Fakultät werden Geisteswissenschaften unterrichtet.

Prag: Motiv unklar – Schütze könnte auch für Doppelmord an Vater und Säugling verantwortlich sein

Über ein mögliches Motiv herrscht bisher Unklarheit. Es gebe keine Hinweise auf einen terroristischen Hintergrund, betonte Regierungschef Petr Fiala. Nach Aussage von Polizeichef Vondrasek bringen die Ermittler den Tatverdächtigen derzeit auch mit einem Doppelmord vor einer Woche in Verbindung. Ein Vater und dessen Tochter im frühen Säuglingsalter waren scheinbar grundlos in einem Waldstück am Prager Stadtrand erschossen worden. Der Fall hatte in Tschechien für Entsetzen gesorgt.

Bewaffnete Einsatzkräfte stehen auf dem Dach der Universität.
Bewaffnete Einsatzkräfte stehen auf dem Dach der Universität. © IMAGO/CTK Photo | IMAGO/Vit Simanek

Die Polizei war am Donnerstagabend mit einem Großaufgebot vor Ort, auch Spezialkräfte waren im Einsatz. Der Rettungsdienst schickte mehrere Rettungswagen, Notärzte und einen Großraumrettungswagen zum Einsatzort. Zwischenzeitlich war nicht sicher gewesen, ob der mutmaßliche Schütze alleine gehandelt hatte. Die Polizei rief die Menschen dazu auf, die Gegend weiträumig zu meiden. Anwohner sollten nicht aus dem Haus gehen.

Am frühen Abend gab es dann jedoch eine Entwarnung: Es drohe keine Gefahr mehr für die Öffentlichkeit, sagte der tschechische Innenminister Vit Rakusan im öffentlich-rechtlichen Fernsehen CT. Hinweise auf einen zweiten Schützen lägen nicht vor. Rakusan bat die Bevölkerung dennoch, den Anweisungen der Polizei zu folgen. Der Minister war nach der Tat zum Einsatzort geeilt.

Schüsse in Prag: Studierende bringen sich auf Dachvorsprung in Sicherheit

Auf Fotos war zu sehen, wie Studentinnen und Studenten das Gebäude mit erhobenen Armen verließen. Ein Bild, das vielfach in den sozialen Medien geteilt wurde, zeigte außerdem, wie mehrere Studierende auf einem Vorsprung unter dem Dach des Gebäudes kauerten, um sich in Sicherheit zu bringen. Andere Studierende und Mitarbeitende der Universität teilten in den sozialen Netzwerken mit, dass sie sich in Hörsälen und Büros verbarrikadiert hätten. Sie wurden bis zum frühen Abend aus dem Gebäude gebracht. Nach einem Bericht des Fernsehsenders Nova soll sich der Schütze zuletzt auf dem Dach des Fakultätsgebäudes aufgehalten haben. Auch eine Explosion sei demnach zu hören gewesen.

Der Jan-Palach-Platz befindet sich nur wenige hundert Meter von der bekannten Karlsbrücke entfernt. Auch dort brach Panik aus. Ein auf X (ehemals Twitter) geteiltes Video zeigte, wie Menschen nach den Schüssen über die Brücke, die als Wahrzeichen der Stadt gilt, flüchteten.

Einsatzfahrzeuge in der Prager Innenstadt.
Einsatzfahrzeuge in der Prager Innenstadt. © dpa | Petr David Josek

Tschechische Regierung ruft eintägige Staatstrauer aus

Das liberalkonservative Kabinett kam am späten Donnerstagabend in Prag zu einer Krisensitzung zusammen, an der auch Präsident Petr Pavel teilnahm. Für den 23. Dezember wurde im ganzen Land eine eintägige Staatstrauer ausgerufen. Pavel warnte davor, die Tragödie für voreilige Kritik an der Polizei oder zur Verbreitung von Falschinformationen zu missbrauchen. Er hatte einen Besuch in Frankreich abgebrochen, um zurück nach Prag zu eilen.

Polizeifahrzeuge sperren ein Gebiet in der Prager Innenstadt ab. An einer Hochschule in der Prager Innenstadt sind Schüsse gefallen.
Polizeifahrzeuge sperren ein Gebiet in der Prager Innenstadt ab. An einer Hochschule in der Prager Innenstadt sind Schüsse gefallen. © dpa | Petr David Josek

Nicht nur in Tschechien, sondern auch international löste die Tat Bestürzung aus. „Der Anschlag mitten in Prag trifft Europa im Herzen“, schrieb Bundesaußenministerin Annalena Baerbock auf X. „Wir sind in Trauer. Unsere Gedanken und unser volles Mitgefühl gelten den Familien und Freunden der Opfer“, so die Grünen-Politikerin. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) teilte auf X mit: „Unsere Gedanken sind bei den Familien und Freunden der Opfer, unser Mitgefühl gilt unseren tschechischen Freundinnen und Freunden“. Ähnlich äußerten sich auch zahlreiche weitere Spitzenpolitikerinnen und -politiker.

Auch UN-Generalsekretär António Guterres zeigte sich laut seinem Sprecher „schockiert und traurig“ über den Vorfall an der Karls-Universität. Er sprach den Angehörigen der Todesopfer in der Nacht zum Freitag seine tiefe Anteilnahme aus und wünschte den Verletzten eine baldige und vollständige Genesung.

Die Karls-Universität wurde 1348 gegründet und zählt damit zu den ältesten europäischen Universitäten. Sie hat insgesamt rund 49.500 Studentinnen und Studenten. Davon studieren rund 8000 an der Philosophischen Fakultät Fächer wie Germanistik, Slawistik, Geschichtswissenschaft.