Berlin. Das Festival di Sanremo ist Musikwettbewerb, Treffpunkt der Schönen und Reichen, politisches Forum. Es ist Italien in Kompaktform.

Es gibt in diesen Tagen kein anderes Thema in Italien. Wer gewinnt das Festival di Sanremo? Wer trägt welches Outfit welches Designers? Was besprechen Presse und Talkshows? Worum werden sich sämtliche Plaudereien in den Bars drehen?

Fünf Abende in Folge bis weit nach Mitternacht sendet das erste italienische Fernsehen Rai 1 das größte Musikereignis des Landes. Auf der Bühne des Teatro Ariston im ligurischen Küstenort Sanremo werden Talente gemacht. Gleichzeitig nehmen am Wettbewerb aber auch die bekanntesten Künstlerinnen und Künstler des Landes teil.

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Am frühen Sonntagmorgen gegen 2.30 Uhr nach fünfeinhalb Stunden Show steht schließlich die Gewinnerin der 74. Ausgabe des Festivals fest: Angelina Mango. Die 22-Jährige ist seit zehn Jahren die erste Frau, die den Wettbewerb für sich entscheidet. Bei ihrer ersten Festival-Teilnahme setzt sich Mango nun gegen 29 Konkurrentinnen und Konkurrenten durch. Während der Preisverleihung in der Nacht kämpft Angelina Mango zunächst mit den Tränen, feiert dann aber mit Hüpfern und bedankt sich mit „Grazie“-Rufen. Mit ihrem Sieg darf sie für Italien am Eurovision Song Contest im Mai in Malmö teilnehmen.

Der Moment des Triumphs: Gegen 2.30 Uhr in der Nacht auf Sonntag steht Angelina Mango als Siegerin fest.
Der Moment des Triumphs: Gegen 2.30 Uhr in der Nacht auf Sonntag steht Angelina Mango als Siegerin fest. © DPA Images | Marco Alpozzi

Italien: Angelina Mango gewinnt in Sanremo – und wird am ESC teilnehmen

Mango hat ihren Song „La noia“ (dt. „Die Langeweile“), der auch mit dem Preis für die beste Komposition und dem Preis der Presse ausgezeichnet wurde, gemeinsam mit der Rapperin Madame und dem Produzenten Dardust geschrieben. Sie besingt darin die Notwendigkeit schwerer und leerer Stunden, um daraus gestärkt hervorzugehen. Mango verlor ihren Vater, den berühmten Sänger Pino Mango, im Alter von 13 Jahren. Ihre Mutter, Laura Valente, ist Ex-Sängerin der Gruppe Matia Bazar, die das Sanremo-Festival schon zweimal gewonnen hat. Angelina Mango selbst ist durch die Castingshow „Amici di Maria de Filippi“ bekannt geworden, ihre ersten Singles stürmten 2023 die italienischen Charts.

Das Siegerlied „La noia“ beweist, dass sich beim Festival di Sanremo bereits seit einigen Jahren ein Generationenwechsel vollzieht. 1951 begann es als Schlagerfestival. Inzwischen ist das musikalische Spektrum erheblich breiter. Es gehört mittlerweile zum guten Ton, Botschaften gegen Rassismus, gegen Krieg, gegen Sexismus vorzutragen. Gleichzeitig ist ein Großteil der Musik radiotauglich und wird in den kommenden Monaten in den Radios und auf Italiens Stränden rauf und runter laufen.

Gleichzeitig ist das Festival immer auch politisch, so auch in diesem Jahr. Zwar gibt es seit jeher den Wunsch, die Politik außen vorzulassen, doch das ist offenbar ein aussichtsloses Unterfangen. Bereits im Vorfeld des Festivals hatte Moderator Amadeus den Landwirten angekündigt, dass sie auf der Bühne willkommen seien. Das wiederum stieß auf breite Kritik – auch innerhalb der italienischen Politik. Schließlich einigte man sich darauf, dass Amadeus einen Brief der protestierenden Bauern verlas. Das Festival di Sanremo erreicht Rekordeinschalt-Quoten, wer hier seine Botschaft vortragen kann, der hat die Aufmerksamkeit auf seiner Seite.

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Festival di Sanremo: Kritik am Auftritt von John Travolta

Sanremo ist in jedem Jahr auch ein Ort für Streitigkeiten, für Polemiken, für Kritik. Zu einem Eklat führte in diesem Jahr etwa der Auftritt von US-Schauspieler John Travolta am zweiten Festivalabend. Der 69-Jährige sollte zunächst mit Moderator Amadeus Tanzschritte aus seinen bekanntesten Filmen wie „Saturday Night Fever“ und „Grease“ beibringen. Danach führte man den Schauspieler nach draußen vor das Theater, wo er den Ententanz, der in Italien als „Il Ballo del Qua Qua“ bekannt ist, mit Amadeus und dem Showmaster Rosario Fiorello tanzen sollte. Erkennbar irritiert studierte Travolta mit ihnen die Schritte ein – in den sozialen Medien sorgte der Partytanz für Wirbel und Spott. Travolta verbot im Nachhinein, dass Aufzeichnungen des Tanzes jemals wieder ausgestrahlt werden dürfen. Die öffentlich-rechtliche TV-Anstalt Rai leitete außerdem Ermittlungen ein, da Travolta durch seine Turnschuhe einer bekannten italienischen Marke Werbung gemacht haben soll – was sein Vertrag offenbar nicht erlaubte.

Schauspieler John Travolta (rechts) zeigt Moderator Amadeus (links) Tanzschritte aus seinen Filmen. Kurz danach musste er den Ententanz vorführen – das sorgte für Spott.
Schauspieler John Travolta (rechts) zeigt Moderator Amadeus (links) Tanzschritte aus seinen Filmen. Kurz danach musste er den Ententanz vorführen – das sorgte für Spott. © DPA Images | Marco Alpozzi

Die Berichterstattung in Italien wurde am Samstag, dem Finaltag des Festivals, jedoch von einem anderen Thema überschattet: Einer der Teilnehmer, Geolier, hatte die Wertung am Freitag gewonnen, dem Abend, an dem alle Künstler Coversongs singen. Der Sieg des neapolitanischen Rappers missfällt dem Publikum im Ariston Theater im norditalienischen Sanremo. Die Zuschauer pfeifen den 23-Jährigen aus und verlassen den Saal. Doch wie beliebt Geolier und sein Lied im neapolitanischen Dialekt „I‘ p‘ me, Tu p‘ te“ („Ich für mich, Du für Dich“) bei den Zuschauern vor den Fernsehern auch im Hauptwettbewerb sind, zeigt sich dann am Samstag. Bei reinem Publikumsvoting hätte Geolier klar gewonnen – er bekam von den Zuschauern 60 Prozent der Stimmen. Die zählen neben Presse- und Radiojury jedoch nur ein Drittel im finalen Voting.

Mit einem Medley, das Geolier (rechts) gemeinsam mit Künstlern aus Neapel wie Gigi D‘Alessio (links) vortrug, gewann er den Coverabend des Festivals.
Mit einem Medley, das Geolier (rechts) gemeinsam mit Künstlern aus Neapel wie Gigi D‘Alessio (links) vortrug, gewann er den Coverabend des Festivals. © Daniele Venturelli/Getty Images | D.Venturelli

Musik-Wettbewerb voller italienischer Stars: Mahmood, Ricchi e Poveri und viele mehr

Doch auch vom ursprünglichen Geist des Festivals ist noch einiges übrig. Das Festival, gegründet vom damaligen Inhaber des Spielkasinos in Sanremo, sollte zunächst dem Amusement der Kurgäste aus Nordeuropa dienen. Diese verbrachten an der milden italienischen Riviera den Winter. Und Unterhaltung bietet das Festival bis heute ausreichend.

Sympathien erntet etwa Vorjahressieger Marco Mengoni (Vierter beim ESC 2023), der als Co-Moderator durch den ersten Abend des Festivals am Dienstag führt, gutgelaunt Späße macht und mehrere Lieder singt. „Er zeigt sich ohne Filter, sagt, was er fühlt und gibt sich der Öffentlichkeit hin“, lobt „La Repubblica“ am nächsten Tag. Beim Festival habe er bewiesen, dass er ein richtiger „Showman“ sei. Mengoni war bei seinem zweiten Sanremo-Sieg 2023, anders als Mango, bereits ein gestandener und gefeierter Künstler in Italien. Er füllte mit seinen Konzerten Fußballstadien, gab Konzerte auch außerhalb Italiens.

Marco Mengoni gewann 2023 das Sanremo-Festival. In diesem Jahr war er der Co-Moderator des ersten Abends und sang seinen Siegersong „Due Vite“.
Marco Mengoni gewann 2023 das Sanremo-Festival. In diesem Jahr war er der Co-Moderator des ersten Abends und sang seinen Siegersong „Due Vite“. © Daniele Venturelli/Getty Images | Daniele Venturelli

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Doch die größte Bekanntheit bedeutet nicht automatisch ein Sieg im Wettbewerb. Auch in diesem Jahr waren unter den 30 Teilnehmenden Größen der italienischen Musik. So trat etwa Mahmood an. Der 31-Jährige hatte bereits 2019 und 2022 gewonnen, ist einem größeren Publikum spätestens seit dem ESC in denselben Jahren bekannt, bei denen er Zweiter und Sechster wurde. Auch dabei waren Il Volo (Sieg bei Sanremo 2015 und Drittplatzierte beim ESC im selben Jahr), Diodato (Sieg bei Sanremo 2020, seine Teilnahme beim ESC fiel aus, da dieser wegen der Corona-Pandemie abgesagt wurde).

Mahmood nahm mit „Tuta Gold“ am Wettbewerb teil, landete aber nicht unter den Top 5.
Mahmood nahm mit „Tuta Gold“ am Wettbewerb teil, landete aber nicht unter den Top 5. © DPA Images | Marco Alpozzi

Ebenfalls dem Wettbewerb stellten sich Ricchi e Poveri, die bereits seit den 70ern Erfolge feiern. Zu ihren größten Hits zählen etwa „Mamma Maria“ und „Sarà perché ti amo“.

Wessen Lied nun schließlich der Hit des Jahres wird, muss sich erst in den kommenden Wochen zeigen. Nicht immer ist das Siegerlied letztendlich der Song, auf den im Sommer an Italiens Stränden getanzt wird.

Die Gruppe Ricchi e Poveri gibt es bereits seit 1967. Auch 2024 nahmen sie am Wettbewerb teil.
Die Gruppe Ricchi e Poveri gibt es bereits seit 1967. Auch 2024 nahmen sie am Wettbewerb teil. © IMAGO/Matteo Gribaudi | IMAGO/www.imagephotoagency.it