BERLIN. Deutsche Schüler schneiden beim Lesen noch immer schlecht ab. Forscher rechnen jetzt in einer neuen Studie hart mit der Politik ab.

Grundschülern in Deutschland fällt es zunehmend schwer, Texte zu lesen, zu verstehen und zu nutzen. Rund ein Viertel der Viertklässler hierzulande erreiche im internationalen Standard keine ausreichende Lesekompetenz und müsse dementsprechend "mit großen Schwierigkeiten im weiteren Verlauf der Schul- und Berufszeit rechnen", berichteten Forscher der Technischen Universität Dortmund am Dienstag unter Berufung auf eine neue Vergleichsstudie. Sie kritisierten zugleich, dass sich die die Bildungsgerechtigkeit in Deutschland seit dem so genannten PISA-Schock des Jahres 2000 nicht verbessert habe. Die soziale Herkunft der Kinder entscheide immer noch sehr stark über ihren weiteren Bildungsweg.

Laut der nun vorgelegten Internationalen Grundschul-Lese-Untersuchung (IGLU) liegen Viertklässler in Deutschland mit mittlerer Lesekompetenz nur im Mittelfeld – weit abgeschlagen hinter Schülern aus Ländern wie Hongkong, Singapur, England, Finnland oder Polen. Verglichen mit vorangegangenen Erhebungen seien die mittleren Leistungen deutscher Schüler sogar noch "signifikant gesunken", berichteten die Wissenschaftler um Studienleiterin Nele McElvany, die dem Institut für Schulentwicklungsforschung an der TU Dortmund vorsteht.

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Deutsche Grundschüler: Mangelnde Kompetenz und geringe Aufstiegschancen

McElvany sagte: "Die pandemiebedingten Beeinträchtigungen und die sich verändernde Schülerschaft erklären nur einen Teil dieses Leistungsabfalls." Es müsse klar festgehalten werden, dass der Trend absinkender Schülerleistungen bereits seit 2006 bestehe und "die problematische Entwicklung in unserem Bildungssystem in den letzten Jahren durch die Aspekte nur verstärkt wurde". In anderen Ländern wird im Unterricht auch deutlich mehr Zeit für Leseaktivitäten aufgewendet: Im internationalen Durchschnitt sind es 200 Minuten pro Woche, hierzulande aber gerade einmal 141 Minuten.

Doch nicht nur die mittleren Leistungen gehen in Deutschland zurück: Auch die Unterschiede zwischen guten und schwachen Lesenden werde größer. Zudem sei der Anteil der guten bis sehr guten Lesenden von 47 Prozent im Jahr 2001 auf nur noch 39 Prozent im Jahr 2021 gesunken, berichteten die Forscher.

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Nach ihrer Einschätzung sind sämtliche Maßnahmen der vergangenen 20 Jahre zur Steigerung des Bildungserfolgs, der Bildungsgerechtigkeit und der Chancengleichheit wirkungslos verpufft. Es gebe einen starken Zusammenhang zwischen familiärer Herkunft, schulischen Leistungen und Zugang zu höherer Bildung. Um eine Gymnasialempfehlung zu erhalten, müssten Kinder aus Arbeiterfamilien nach wie vor wesentlich mehr leisten als Kinder aus Akademikerfamilien. In anderen europäischen Ländern wie Finnland oder Italien sei der Zusammenhang zwischen familiärer Herkunft und schulischem Erfolg hingegen nicht so stark ausgeprägt.

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Im Rahmen der IGLU-Studie wird seit 2001 alle fünf Jahre die Lesekompetenz von Schülern in Deutschland und anderen Staaten gemessen und verglichen. Durch Befragungen werden dabei auch zahlreiche Hintergrundinformationen gewonnen. An der jüngsten Erhebung nahmen rund 40.000 Schüler aus 65 Staaten und Regionen teil. In Deutschland waren es mehr als 4611 Schüler aus 252 vierten Klassen.