Bodo Baake über das Erbe des Bauhauses.

Wenn Lynkeus der Türmer heute über die Zinnen seines Gemäuers auf die alte Stadt blicken würde, würde er sich die Augen reiben und sein liebes närrisches Nest kaum wiedererkennen. Von den vertrauten Spitz-, Walm- und Mansardendächern, von den putzigen Ziergiebeln und schrulligen Aufsätzen der Essenköpfe sind immer weniger zu sehen. Wo einst eine vielgestaltige Dachlandschaft wuchs, breitet sich eine öde Ebene aus Flachdächern immer weiter aus.

Und wer ist schuld daran? Das Bauhaus! Natürlich nicht allein. Aber mit seinen neuen Ideen vom Hausbau hat es stilbildend dazu beigetragen. Während seine Kreation des Triadischen Balletts etwa routinierten Jubiläen und ambitionierten Freundeskreisen vorbehalten blieb, wurde die Erfindung des Flachdaches zum Running-Gag der Baubranche. Dabei gehört diese Form der Kopfbedeckung einer Behausung zu den ältesten Hüten des Beherbergungswesens.

Doch Stein auf Stein war gestern, jetzt eröffneten neue Materialien, Methoden und kühne Konstruktionen ganz neue Perspektiven und Spannweiten.

Spannbeton war das Zauberwort. So wurden Fabrik- und Lagerhallen, Revue-Theater und Vorzimmer von Chefbüros in ungeahnten Dimensionen möglich – und Wolkenkratzer. Bald waren die großen Städte damit möbliert. Mit ihnen schoss der Ehrgeiz ihrer Bauherren in die Höhe – in die Geschosshöhe. Vielleicht traten sie auch die Flucht nach oben an, weil es unten, in den Straßenschluchten eng und schmutzig wurde oder ihnen die Steuerfahndung auf den Fersen war. Wer kann das wissen!

Jedenfalls kam bald der erste der Bauherren auf die Idee, sich dort oben auf dem ungenutzten Dach ein Penthouse bauen zu lassen. Dann Pool, Helikopter-Landeplatz, Sonnenterrasse . . . Man hatte es ja, und Platz genug gab es auch. Noch.

Doch schon bald wurden die monströsen Zentrifugen der Entlüftungsschächte beiseite gerückt und machten auf den Flachdächern der Hochhäuser Platz für weitere Häuser – langweilige Fabrikantenvillen, coole Appartements, Maisonettwohnungen und Neubauviertelchen en miniature. Die Renaissance des Flachdachs begann. Hoch über den Städten wuchsen den Städten ganze Städte über den Kopf. Wer „in“ sein will, baut heute sein Gemüse on the roof, zieht Bonsai-Eichen auf Hochbeeten, schleudert Honig von hoch fliegenden Bienen und mitleidige Blicke in Straßenschluchten mit Leuten, die nichts von den Wonnen eines Dachgartens ahnen. Es ist, als etablierten sich dort die Enkel des Bauhauses gerade als neue High-Society.