Bodo Baake über den Herbst.

Sie sah ein bisschen aus wie die Königin. Vielleicht sogar noch besser als die, sorry, unter ihren Hüten doch immer ein wenig pummelig wirkende Queen Elisabeth. Aber ebenso distinguiert und unerschrocken. Und so durchgeistigt wie man nach unzähligen Tassen Tea nur sein kann: Brenda Hale, die Oberste Richterin am britischen Supreme Court, sorgte kurz vor dem Versinken im Chaos des Brexit noch einmal – und einstimmig – für eine Sternstunde der Rechtsprechung: Es war Unrecht, das Parlament in eine wochenlange Zwangspause zu versetzen, um die Brexit-Pläne des Premiers durchzupauken.

Und besonders verwerflich: Boris Johnson habe dazu die Queen hinter die Fichte geführt, also hintergangen. Da ist bei allem britischen Humor Schluss mit lustig. Das geht gar nicht, sprach die oberste Richterin des Obersten Gerichts sanft, aber bestimmt. Die englische Presse ernannte die Richterin darauf zur „Königin der Gerechtigkeit“ und feierte das Urteil als „verdammt krass“. Womit auch wir hier in eine andere Tonlage übergehen wollen.

Fast zeitgleich mit dem Schuldspruch des britischen Supreme Court wurde ein Freispruch des Berliner Landgerichts bekannt. Dort befand man, nein, es sei keine Beleidigung der Grünen-Politikerin Renate Künast, wenn sie in den (un-)sozialen Netzwerken als „Sondermüll“ und „Stück Scheiße“ beschimpft werde. Oder als noch Ärgeres, das wir hier als Familienzeitung nicht abdrucken können, weil die Kinder mitlesen. Bei der verlorenen Ehre der Renate Kühnast trete also mitnichten der gut alte Beleidigungsparagraf von 1871 in Kraft, der immer noch in Kraft ist, sondern das moderne Berufsrisiko des Politikers. Merke: Während in England nicht einmal der Premier eine Königin ungestraft in die Fichtenschonung führen darf, kann in Deutschland der Online-Mob Politiker durchs Waldesdickicht zerren und verbal vergewaltigen. – Was da jetzt im Hintergrund gescheppert hat, war übrigens Frau Justitia, ihr ist die Waage aus der Hand gefallen.

Bekanntlich bleibt zwischen Gesetz und Gerechtigkeit immer eine gewisse Differenz. Das ist wie mit dem Ideal und der Wirklichkeit. Darüber hat schon Kurt Tucholsky geseufzt: „Man möchte immer eine große Lange, und dann bekommt man eine kleine Dicke – C’est la vie!“ So seufzen auch wir. Wir wünschen uns immer ein Supreme Court mit einer ebenso feingliedrigen wie feinsinnigen Lady, die mit sanfter, aber bestimmter Stimme spricht. Und was bekommen wir? Ein Berliner Landgericht. Das, liebe Freunde des Rechtsstaates, ist verdammt krass.