Ulrike Merkel über unmoralische Fluchtimpulse nach Unfällen.

Wohl die meisten Menschen haben schon mal beim Rückwärts-Ausparken ein Auto touchiert. Sofort durchflutet Adrenalin den Körper, das Herz rast. „Hoffentlich ist nichts passiert“, richtet man beim Aussteigen ein Stoßgebet gen Himmel. Wohl dem, dessen Stoßstange keine Spuren im fremden Blech hinterlassen hat.

Aber wenn doch, dann beginnt hier der moralische Teil des Malheurs. Denn oft gibt es keine Zeugen, und man ist nur allzu gern versucht, schnell wieder einzusteigen und wegzufahren. Das ausgeschüttete Adrenalin, das ja ursprünglich die Aufgabe hatte, uns Menschen zu Kampf und Flucht zu befähigen, tut sein Übriges. Ganz abgesehen davon, dass die eigenen Schmarren schon teuer genug werden. Aber genau hier beginnt auch die Straftat. Fahrerflucht ist im Strafgesetzbuch unter Paragraf 142 geregelt. Wer erwischt wird, dem drohen empfindliche Strafen. Ist es das wert?

Ein Perspektivwechsel kann bei der Entscheidung helfen, ob man wegfährt oder sich doch als Verursacher zu erkennen gibt. Denn bestimmt ebenso viele Menschen, die schon einmal mit dem Auto rempelten, sind bereits selbst mal Opfer einer ungeklärten Stoßstangenberührung geworden. Und genau diesen Ärger, der mindestens genauso schnell das Adrenalin durch unseren Körper peitscht, sollte man sich in Erinnerung rufen. Wer jetzt noch Omas Spruch „Was du nicht willst, das man dir tu’...“ im Ohr hat, weiß, wie man richtig handelt.

Apropos Adrenalin: Das Stresshormon geht bei vielen Autofahrern schon beim Einsteigen in Lauerstellung und wartet nur noch auf seinen Einsatz. Denn gewiss trifft man bald auf einen schleichenden Sonntagsfahrer, Rot ignorierenden Fahrradfahrer oder rücksichtslosen Raser und schon sprengt es hinaus aus den Nebennieren und sorgt für mächtig Wallungen. In diesen Fällen ist allerdings die Kampflust geweckt, nicht der Fluchtinstinkt.