Madrid. Spanien droht ein politisches Patt – kein Lager hat eine Regierungsmehrheit. Ein alter Bekannter könnte nun zum „Königsmacher“ werden.

Wahlsieger sehen eigentlich anders aus: Mit versteinerter Miene tritt Alberto Núñez Feijóo nach der Parlaments- und Regierungswahl in Spanien auf den Balkon der konservativen Parteizentrale in Madrid. Er hebt etwas steif die Arme in die Höhe. „Wir haben die Wahl gewonnen“, ruft der 61-Jährige wenig enthusiastisch seinen Anhängern zu, die auf der Straße stehen. Die mitgebrachten rot-gelb-roten Spanienfahnen und blauen Parteibanner der Volkspartei hängen schlaff herunter. Feierstimmung will nicht aufkommen.

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Nur einige Kilometer weit entfernt tobt derweil eine ausgelassene Party. Und zwar vor der Zentrale der Sozialdemokraten. Diese hatten eigentlich gar nicht damit gerechnet, Grund zum Feiern zu haben. Pedro Sánchez (51), der heimliche Gewinner dieser Wahl, brüllt mit einem breiten Lächeln ins Mikrofon: „Spanien hat klar gesprochen. Die Konservativen sind gescheitert.“ Er umarmt seine Frau Begoña. Die Sympathisanten tanzen zu Sambarhythmen.

Wahl in Spanien: Keine klare Mehrheit für Konservative

Auch am Montag sitzt der Schock bei der Volkspartei noch tief. Entgegen aller Voraussagen verfehlte das konservative Lager eine ausreichende Mehrheit, um Sánchez aus der Regierung zu vertreiben. Dabei war Feijóo mit dem Motto angetreten: „Wir werden den Sanchismus beenden.“ Nun, nachdem Feijóo sein sicher geglaubtes Ziel verfehlte, könnte der „Sanchismus“ demnächst die Karriere des Konservativen beenden, dessen Autorität als Parteiboss angeknackst ist.

Doch zunächst gab Feijóo Durchhalteparolen aus und verkündete, dass er sich so schnell nicht geschlagen geben werde. „Wir haben die Wahl gewonnen“, machte er seinen Anhängern Mut. Und er erklärte, dass er auf jeden Fall Anspruch auf das Amt des Regierungschefs erheben werde. Feijóo forderte Sánchez auf, eine konservative Regierung nicht zu blockieren. Er kündigte Gespräche mit allen Parteien an. „Ich werde versuchen, unser Land zu regieren.“

Spanien: Komplizierte Regierungsbildung droht

Feijóos Volkspartei (PP) hatte zwar 33 Prozent der Stimmen und 136 Mandate errungen. Deutlich mehr als in der vergangenen Wahl im Jahr 2019, bei der seine Partei nach einem Korruptionsskandal nicht über 21 Prozent hinauskam. Aber zum Regieren reicht dieser Sieg, der mehr einer Niederlage gleicht, nicht.

Zusammen mit der europaskeptischen Rechtsaußenpartei Vox, die überraschend von 15 Prozent in 2019 auf nun 12 Prozent sackte und nur noch 33 Mandate holte, kommt das konservative Lager auf 169 Sitze im Parlament – die absolute Mehrheit im spanischen Parlament liegt bei 176 Abgeordneten.

Zählt man noch zwei konservative Miniparteien aus der spanischen Region Navarra und von den Kanaren hinzu, könnte der konservative Block 171 Mandate vereinen. Doch auch das ist nicht genug. Ein ziemlich bitterer Sieg Feijóos.

Regierungschef Sánchez schneidet besser ab als erwartet

Der Sozialdemokrat Sánchez, dem die Meinungsforscher große Verluste vorausgesagt hatten, schlug sich unterdessen mit seiner Sozialistischen Arbeiterpartei (PSOE) sehr viel besser als erwartet. Sánchez bewies einmal mehr, dass er ein nicht zu unterschätzender Rivale ist. Einer, der schon öfter aus der Asche wiederauferstand.

Ministerpräsident Pedro Sánchez bei der Stimmangabe in Madrid.
Ministerpräsident Pedro Sánchez bei der Stimmangabe in Madrid. © Emilio Morenatti/AP/dpa

Sánchez errang knapp 32 Prozent der Stimmen und 122 Mandate – das ist mehr als bei der Wahl 2019, bei der er bei 28 Prozent landete. Mit diesem Erfolg hat er sogar eine kleine Chance, seine Macht zu retten. Zusammen mit den 31 Mandaten des Linksbündnisses Sumar (12 Prozent) und mit den Stimmen mehrerer progressiver Regionalparteien aus dem Baskenland und Katalonien könnte er theoretisch auf 172 Mandate kommen – damit hätte das progressive Lager ein Mandat mehr als der konservative Block.

Doch: Auch dem Sánchez-Lager fehlen vier Sitze zur absoluten Mehrheit. Dabei könnte sich für Sánchez jedoch ein Ausweg anbieten. Denn den Schlüssel zur Macht hat ausgerechnet der katalanische Separatistenführer Carles Puigdemont. Die Puigdemont-Partei Junts holte sieben Sitze im neuen spanischen Parlament.

Puigdemont will nicht für Sánchez stimmen – Enthaltung möglich

Der in Brüssel lebende Puigdemont, dem die spanische Justiz den Prozess machen will, kündigte bereits an, dass seine Partei im Parlament nicht für Sánchez stimmen werde. Doch eine Enthaltung ist offenbar im Bereich des Möglichen. Sie würde jedoch einen hohen Preis haben, deutete Junts-Sprecherin Miriam Nogueras an: „Wir werden Sánchez nicht gratis zum Regierungschef machen.“

Carles Puigdemont lebt noch immer im Exil in Brüssel.
Carles Puigdemont lebt noch immer im Exil in Brüssel. © AFP | KENZO TRIBOUILLARD

Wie dieser Preis aussehen könnte, ist klar: Junts will ein Unabhängigkeitsreferendum für Katalonien erzwingen. Und eine Begnadigung Puigdemonts. Durchweg Forderungen, die für Sánchez schwerlich zu erfüllen sind. Somit steht es derzeit in den Sternen, ob es Sánchez wirklich gelingen wird, eine neue Regierung zu bilden. Wenn nicht, drohen zum Jahresende schon wieder Neuwahlen.

Die Titel der spanischen Tageszeitungen sprechen am Tag nach der Wahl für sich: „Blockade“, „Instabilität“, „Unsichere Regierungsbildung“, lauten die Überschriften. Nach einem Wahlkrimi, der keine klaren Mehrheiten brachte, wachte Spanien am Montag mit einem heftigen politischen Kater auf.