Kairo. In Ägypten entsteht eine neue Großstadt – am Reißbrett. In Zukunft sollen dort 6,5 Millionen Menschen leben. Doch es gibt einen Haken.

  • Ägypten baut sich eine neue Hauptstadt, eine monumentale Metropole
  • In der Wüste entsteht eine Stadt für über 50 Milliarden Euro
  • Warum die Kritik an dem Projekt nicht abreißt

Der Weg in die neue Hauptstadt führt durch ein monumentales Tor. "Tor zur Zukunft", hat jemand im Internet unter Fotos davon kommentiert, "eine wahrlich glänzende Zukunft Ägyptens." Am Straßenrand hängen Bilder des ägyptischen Präsidenten. Dann kommt eine weite, brachliegende Fläche braunen Wüstensands. In der Ferne sieht man gleichförmige, noch unfertige Wohnblocks hinter Mauern und die hohen Türme des künftigen Geschäftsareals.

Ägypten baut an neuer Hauptstadt: Megaprojekt in der Wüste kostet über 50 Milliarden Euro

Einige Kilometer weiter, im Verwaltungsviertel, reihen sich Gebäude aus hellem Marmor aneinander, davor werden Rasenflächen bewässert. Hier ist alles fertig. In den vergangenen Wochen sind die Ministerien eingezogen – mit tausenden Mitarbeitenden. Seit mehr als sieben Jahren wird in der Wüste gut 60 Kilometer östlich vom Stadtzentrum Kairos an der neuen Verwaltungshauptstadt gebaut. Auf einer Fläche so groß wie das Stadtgebiet von Singapur sollen einmal 6,5 Millionen Menschen leben.

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Es soll eine Stadt der Superlative werden – mit der zweitgrößten Moschee der Welt, der größten Kirche des mittleren Ostens, dem höchsten Gebäude Afrikas. Neben dem Verwaltungsviertel mit Ministerien und Parlament, einem riesigen Militärkomplex und einem neuen Präsidentenpalast sind ein Botschaftsviertel, ein Kulturviertel, Einkaufsmeilen, Parks, ein Flughafen und Wohnkomplexe geplant. Das Megaprojekt soll Schätzungen zufolge rund 60 Milliarden Euro kosten.

LandÄgypten
HauptstadtKairo
WährungÄgyptisches Pfund
Bevölkerung109,3 Millionen (2021)
Offizielle SpracheArabisch

Café-Mitarbeiter berichtet vom Alltag in der Stadt – "es kommt bisher kaum jemand"

Noch aber sind weite Teile des Areals Großbaustelle. Finanzierungsprobleme haben vieles verzögert, Milliarden-Deals mit emiratischen und chinesischen Investoren haben sich zerschlagen. Wie das Megaprojekt nun konkret finanziert wird, ist unklar. Wirtschaftsexperten zufolge dürfte ausländisches Kapital aus China oder den Emiraten weiterhin eine wichtige Rolle spielen, ebenso wie Hochzinsanleihen. Hauptverantwortlich für das Projekt ist inzwischen eine Firma, die dem ägyptischen Militär untersteht.

In einem kleinen Einkaufszentrum unweit der Ministerien ist vormittags kaum etwas los. Ein Pizzaladen, ein Schreibwarengeschäft, ein Fotoladen und ein paar Cafés haben hier geöffnet, es riecht nach Farbe und frisch gewischtem Boden. "Es kommt bisher kaum jemand, trotzdem sind wir jeden Tag von morgens bis abends hier", sagt Ahmed, Mitte 30.

Ägypten baut eine Stadt der Superlative – für geschätzte 60 Milliarden Euro.
Ägypten baut eine Stadt der Superlative – für geschätzte 60 Milliarden Euro. © AFP | KHALED DESOUKI

Neue Hauptstadt in Ägypten: Was in der neuen Stadt besser sein soll als in Kairo

Ende vergangenen Jahres wurde er vom Chef seiner Café-Kette in die unfertige Wüstenstadt versetzt. Glücklich ist er darüber nicht – im Berufsverkehr brauche er von seiner Wohnung in Kairo zwei Stunden hierher. Umzuziehen könne er sich aber nicht leisten, die Wohnungen seien für einen "normalen Arbeiter" wie ihn viel zu teuer.

Die neue, noch namenlose Hauptstadt ist ein Prestigeprojekt des Regimes. Sie soll gleich mehrere Probleme lösen, mit denen sich die 25-Millionen-Metropole Kairo konfrontiert sieht: Die Bevölkerung wächst rasant, es gibt ein massives Platzproblem, die Straßen sind chronisch verstopft, die Infrastruktur ist vielerorts völlig marode. In der neuen, smarten Stadt, sagt ein Projektzuständiger, soll künstliche Intelligenz nicht nur jegliches Geschehen erfassen, sondern auch die Wasser-, Strom- und Abfallversorgung regeln.

Neue Stadt nur für wenige Ägypter interessant – "nur wer viel Geld hat, kann sich das leisten"

Tatsächlich dürfte es wohl nur ein kleiner Teil der Bevölkerung sein, der in den kommenden Jahren in die neue Stadt ziehen wird, glaubt Amr Abdel Kawi, Architektur-Professor an der American University in Kairo. "Nur wer viel Geld hat, kann sich das leisten – das löst die Probleme also nur für einen kleinen Teil der Gesellschaft." Doch die Satellitenstädte, die wie Inseln rund um die Kernstadt in der Wüste entstehen, verändern Kairo. "Das Leben wird immer segregierter, fragmentierter – die Inseln interagieren nicht miteinander", sagt Abdel Kawi.

In den Wohnvierteln der neuen Verwaltungshauptstadt werden wohl eher die Wohlhabenden leben.
In den Wohnvierteln der neuen Verwaltungshauptstadt werden wohl eher die Wohlhabenden leben. © Bloomberg via Getty Images | Bloomberg

Und: "Wer soll noch im Zentrum investieren, wenn die Behörden und Botschaften dort wegziehen?" Auch bei vielen anderen Ägypterinnen und Ägyptern stößt die neue Hauptstadt auf Unmut. "Die Leute können sich das Essen nicht mehr leisten und das Militär baut und baut", sagt Salma, 29, Jungunternehmerin. "Die Regierung will sich nicht mit den Problemen der normalen Leute in Kairo beschäftigen, deshalb bauen sie sich eine neue Stadt", meint Abdul, 60, ein Angestellter.

Ägyptische Regierung verteidigt Megaprojekt gegen Kritik: "Das geht nicht ohne Aufopferung"

Der Unmut kommt auch in der Politik an. "Man fragt mich: Warum baut ihr die Hauptstadt? Wollt ihr uns das Geld nicht zum Leben geben?", sagte Staatspräsident Fattah al-Sisi vor einer Weile. "So funktionieren Staaten nicht. Sie bauen und rekonstruieren weiter, um sich einen Platz unter den Nationen zu schaffen. Das geht nicht ohne Aufopferung." Immer wieder betont die Regierung zudem, dass der Bau durch Investoren und Landverkäufe finanziert werde.

Doch viele Beobachter sind skeptisch. "Als die neue Hauptstadt angekündigt wurde, wurde den Ägyptern versprochen, dass der Staat keinen Penny dafür zahlen werde", schreibt Timothy E. Kaldas vom Tahrir Institute for Middle East Policy bei Twitter. Nun aber würde das ägyptische Militär – durch eine Firma, die es kontrolliere – für die Nutzung der neuen Gebäude mehr als 200 Millionen Dollar jährlich an Miete vom Staat verlangen, so Kaldas. Unterdessen steige in Ägypten die Armut immer weiter, die Inflation sei massiv.

So soll die noch namenlose zweite Hauptstadt aussehen, wenn alles fertig ist.
So soll die noch namenlose zweite Hauptstadt aussehen, wenn alles fertig ist. © PR | pr

Erste Bewohner der neuen Hauptstadt unzufrieden – es bröckelt schon der Putz

Andere Experten verweisen auf die ohnehin schon massive Auslandsverschuldung, die durch die Bauvorhaben weiter erhöht werde. Noch aber wirken die Wohnblock-Viertel der neuen Stadt wie Geisterstädte, nur wenige Leute trifft man hier. "Wir sind vor zwei Jahren hierher gezogen, weil wir die Wohnung damals gekauft haben und nicht woanders Miete bezahlen wollten", erzählt Fatima, Anfang 30, blaue Jeans, blaues Kopftuch.

Zum Einkaufen fahren sie mit dem Auto eine halbe Stunde, weil es hier bisher keine Läden gibt. Fatima sagt, sie habe sich damit arrangiert. Nur ihr Mann sei mit der Qualität der Wohnung nicht so zufrieden. "Ein paar der anderen Eigentümer haben sich sogar beschwert und wollen, dass neu gestrichen wird, bevor sie einziehen, weil der Putz schon abbröckelt."