Berlin/Baku. Die Türkei ist ein enger Verbündeter Aserbaidschans. Die bedingungslose Unterstützung hat geopolitische und ideologische Gründe.

Am Mittwochmorgen scheint die Lage in Bergkarabach hoffnungslos zu sein. „Heute können diejenigen von uns, die das Glück haben, ein Stück Brot und einen behelfsmäßigen Ofen zum Teekochen zu haben, nur hoffen, dass wir die Bomben überleben werden“, schreibt die armenische Journalistin Siranush Sargsyan auf der Plattform X (vormals Twitter). In einem Video, das sie in Stepanakert aufgenommen hat, ist das Geräusch von Schüssen aus schweren Waffen zu hören. Kurze Zeit später verkünden die Behörden Bergkarabachs die Bereitschaft zu einem Waffenstillstand. Am Abend verkündet dann der Präsident Aserbaidschans das Ende des Militäreinsatzes.

Stepanakert ist die Hauptstadt Bergkarabachs, einer Region in Aserbaidschan, die etwa doppelt so groß wie das Saarland ist und fast ausschließlich von Armeniern bewohnt wird. In der Sowjetzeit wird sie von Stalin Aserbaidschan zugeschlagen. 1991 erklärt sich Bergkarabach als unabhängig. Daraufhin führen das mehrheitlich islamische Aserbaidschan und das mehrheitlich christliche Armenien einen erbitterten Krieg um die Region, mindestens 30.000 Menschen sterben. Armenien geht als Sieger aus dem Konflikt hervor und kontrolliert Bergkarabach in den Jahren danach jahrzehntelang.

Erdogan gibt Armenien die Schuld für den Gewaltausbruch

International wird die Unabhängigkeit Bergkarabachs, das sich 2017 in Republik Arzach umbenennt, nie anerkannt, völkerrechtlich gilt die Region als aserbaidschanisch. Der erneute Krieg, den Aserbaidschan gegen Bergkarabach am Dienstag mit heftigen Bombardements von Städten und Dörfern begonnen hat, wird von vielen Staaten verurteilt. Der Außenminister der USA, Antony Blinken, bezeichnete das Vorgehen am Rande der UN-Vollversammlung in New York als „ungeheuerlich“.

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Ein anderes Nato-Mitglied steht jedoch kompromisslos an der Seite Aserbaidschans – die Türkei. Man unterstütze wie immer „die legitimen Schritte Aserbaidschans in seinen souveränen Territorien“, sagte der türkische Außenminister Hakan Fidan ebenfalls in New York bei einem Treffen mit seinem aserbaidschanischen Amtskollegen Jeyhun Bayramov. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan machte in seiner Rede vor der UN-Vollversammlung die armenische Regierung als Schuldigen an dem Gewaltausbruch aus. Armenien habe die „historische Chance“ für Verhandlungen nicht genutzt.

Türkische Staatsmedien schreiben, Aserbaidschan habe besetzte Dörfer befreit

Die Türkei ist seit jeher ein enger Verbündeter Aserbaidschans. Als Baku im Herbst 2020 einen Großangriff auf Bergkarabach startet, unterstützt die Türkei diese Offensive massiv. So kämpfen auf aserbaidschanischer Seite von Ankara in Syrien rekrutierte islamistische Söldner an vorderster Front. Zum Erfolg des aserbaidschanischen Überfalls tragen vor allem türkische Bayraktar-Drohnen bei, die den armenischen Verteidigern verheerende Verluste beibringen.

Als die Offensive im November 2020 nach russischer Vermittlung endet, sind Tausende Soldaten auf beiden Seiten tot. Aserbaidschan erhält die Kontrolle über weite Teile des Südens und Westens von Bergkarabach. Türkische Staatsmedien schreiben in diesem Zusammenhang stets, Aserbaidschan habe armenisch besetzte Städte und Dörfer befreit. Die bedingungslose Unterstützung Aserbaidschans durch Ankara hat nicht nur geopolitische, sondern auch ideologische Gründe.

„Das 21. Jahrhundert wird das Zeitalter der Türken“, sagte Erdogan im Dezember

Der türkische Präsident Erdogan und seine ultranationalistische Regierung sind Anhänger der Idee des Panturkismus, der Einheit der turksprachigen Länder, zu denen neben der Türkei auch Usbekistan, Kasachstan, Kirgisistan, Turkmenistan und eben Aserbaidschan gehören. Seit 2009 haben sie sich unter türkischer Führung zur Organisation der Turkstaaten (OTS) zusammengeschlossen. „Das 21. Jahrhundert wird das Zeitalter der Türken“, sagt Erdogan im Dezember vergangenen Jahres gewohnt selbstbewusst wie chauvinistisch. Armenien ist ein Keil in der panturkischen Achse.

Recep Tayyip Erdogan, Staatspräsident der Türkei, und Ilham Alijew (re.), Präsident von Aserbaidschan, pflegen engste Beziehungen. Das Foto zeigt sie bei ihrem Treffen im Juni 2023.
Recep Tayyip Erdogan, Staatspräsident der Türkei, und Ilham Alijew (re.), Präsident von Aserbaidschan, pflegen engste Beziehungen. Das Foto zeigt sie bei ihrem Treffen im Juni 2023. © picture alliance / ZUMAPRESS.com | Recep Tayyip Erdoan Office

Mit der Türkei hat Baku eine wesentlich verlässlichere und effektivere Schutzmacht als Armenien, das traditionell mit Russland verbündet war. Auf den aserbaidschanischen Überfall auf Bergkarabach vor drei Jahren hat Moskau nur zögerlich reagiert. Die Stationierung russischer Friedenstruppen in Bergkarabach, die die Einhaltung des seinerzeit vereinbarten Waffenstillstandsabkommens überwachen sollten, hat sich als nutzlos erwiesen, wie der aktuelle Gewaltausbruch zeigt. Den russischen Soldaten bleibt nur, Zivilisten aus den bombardierten Gebieten herauszubringen.

Der türkische Ultranationalismus weckt in Armenien schlimme Erinnerungen

In Armenien weckt der türkische Ultranationalismus Erinnerungen an den Aghet, den Völkermord an den Armeniern durch das osmanische Reich in den Jahren 1915 und 1916, der sich ins kollektive Gedächtnis eingebrannt hat. Als in den vergangenen neun Monaten die einzige Verbindung zwischen Armenien und Bergkarabach von Aserbaidschanern blockiert und die Bevölkerung in der Region ausgehungert wurden, sprachen viele Armenier von einer Neuauflage des Genozids.

Jetzt herrscht die Befürchtung, die etwa 120.000 Armenier sollten aus Bergkarabach vertrieben, die Region also ethnisch gesäubert werden. Zudem glauben viele Armenier, die Aserbaidschaner würden sich mit der vollständigen Kontrolle über Bergkarabach nicht zufriedengeben. An der südwestlichen Grenze Armeniens liegt die aserbaidschanische Exklave Nachitschewan.

Baku plane, so heißt es in armenischen Kreisen, die Einnahme des kompletten Südens Armeniens, um diese Exklave mit Aserbaidschan zu verbinden. In seiner Rede vor der UN-Vollversammlung hat Erdogan Nachitschewan am Dienstag bereits thematisiert. Armenien müsse einen Korridor in die Exklave eröffnen, forderte der türkische Staatspräsident.