Berlin. In Kriegszeiten fluten Falschinformationen die sozialen Medien. Warum sie so gefährlich sind und wann Nutzer vorsichtig sein sollten.

Als am Dienstagabend die Explosion auf dem Gelände des Ahli-Arab-Krankenhauses in Gaza-Stadt bekannt wurde, dauerte es nicht lange, bis die sozialen Medien mit Posts überschwemmt wurden, die mal die eine, mal die andere Seite beschuldigten.

Schnell kursierten Videos, die angeblich zweifelsfrei belegen sollten, dass eine israelische Rakete der Auslöser gewesen sein muss. Erst im Nachhinein stellte sich heraus: Vieles davon war falsch oder gefakt. Inzwischen gilt als wahrscheinlich, dass eine fehlgeleitete Rakete der Auslöser für die Explosion war. Doch in der Zwischenzeit wurden die falschen Informationen tausendfach geteilt.

Und das ist nicht der einzige aktuelle Fall. Wenige Tage zuvor kursierte ein Bild in den sozialen Medien, das Kinder in Käfigen zeigte. Angeblich waren die Kinder von der Hamas entführt worden. Später stellte sich heraus: Das Foto war bereits lange vor dem Angriff der Hamas entstanden. Die EU-Kommission hat mittlerweile reagiert und wegen der zahlreichen Falschmeldungen ein Verfahren gegen Tiktok, Meta und X – das frühere Twitter – angekündigt.

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Dass gerade in Kriegszeiten Falschinformation gezielt oder unbeabsichtigt verbreitet werden, ist kein Zufall. „Krisen und Kriege sind ein fruchtbarer Boden für Falschinformationen“, sagt die Kommunikationswissenschaftlerin und Medienpsychologin Lena Frischlich, die in München unter anderem zur Inszenierung und Wirkung von Desinformation forscht. Das liege unter anderem daran, dass es oft schwer sei, an gesicherte Informationen zu kommen. Gerade zu Beginn eines Krieges würden sich die Ereignisse häufig überschlagen, während die Situation chaotisch und schwer zu überblicken sei. „Gleichzeitig gibt es aber ein sehr großes Bedürfnis nach schnellen Informationen“, erklärt Frischlich. Dadurch könnten sich falsche Behauptungen umso schneller verbreiten.

In Kriegszeiten nimmt die Verbreitung von Falschinformationen zu

Grundsätzlich unterscheidet die Wissenschaft zwischen Desinformationen, also falschen Behauptungen, die gezielt verbreitet werden, und Falschinformationen, also unwahren Inhalten, die nicht unbedingt absichtlich verbreitet werden. Gerade in den sozialen Medien ist die Trennung jedoch oft schwierig.

Dass im Krieg gezielt Desinformation eingesetzt werde, sei nicht neu, erläutert Frischlich – was sich allerdings verändert habe, sei das Medium, in dem sie geteilt würden: „Das Internet hat den Zugang zu Desinformationen und deren Verbreitung deutlich vereinfacht.“ Im Netz könne grundsätzlich erst einmal jeder alles veröffentlichen. „Das heißt aber auch, dass man im Alltag sehr viel schneller über Desinformationen stolpert“, so die Expertin.

Ob Nutzerinnen und Nutzer, die etwa auf Facebook, X oder Tiktok eine falsche Behauptung sehen, diese glauben, hänge von mehreren Faktoren ab. „Menschen glauben grundsätzlich eher Dinge, die in ihr eigenes Weltbild passen“, erläutert Frischlich. Besonders überzeugend seien Inhalte vor allem in zwei Fällen – wenn sie eine bereits gefestigte Meinung bestärken oder wenn noch gar kein Wissen zu dem Thema vorhanden ist. Dann würden sich Menschen oft allein auf Basis dieser Information eine Meinung bilden. „Gerade Letzteres kann in Kriegssituationen potenziell problematisch sein“, sagt die Medienpsychologin.

Fake News in sozialen Netzwerken: Inhalte immer auf Plausibilität prüfen

Um herauszufinden, ob es sich bei einer Information, die in den sozialen Medien geteilt wurde, um eine potenzielle Falschinformation handelt, gibt es verschiedene Möglichkeiten. „Bevor ich einer Information Glauben schenke, sollte ich zunächst kurz innehalten und mich fragen, was ich hier tatsächlich vor mir habe“, empfiehlt Frischlich. Folgende Fragen könne man sich dabei stellen: „Passen diese Informationen zusammen? Ist das plausibel? Kann das überhaupt so passiert sein?“ Ein ähnliches Vorgehen empfiehlt auch Andre Wolf vom Verein Mimikama, der sich mit der Aufklärung von Falschinformationen beschäftigt. „Sobald mir nur an einer Stelle etwas nicht plausibel erscheint, sollte ich vorsichtig sein“, warnt der Experte.

In einem zweiten Schritt sollte man die Quelle der Information prüfen. „Ich kann mich fragen: Kenne ich die Quelle? Vertraue ich der Quelle? Hat die Quelle Fachwissen?“, erklärt Frischlich. Bei einem Social-Media-Account könne man sich zum Beispiel anschauen, was die Person sonst noch so postet. Wolf rät außerdem dazu, die Kommentare zu prüfen: „Wenn etwas dort sehr stark umstritten ist, dann sollte ich davon Abstand nehmen.“ Der dritte Schritt sei, sich zu fragen, was mit dem Inhalt bezweckt werden soll. Gerade bei besonders emotionalen oder reißerischen Inhalten sei Vorsicht geboten.

„Bei Falschinformationen ist es oft so, dass zu einer bestimmten Handlung aufgerufen wird“, erklärt Frischlich. Wenn unter einem Post etwa stehe „Unbedingt teilen!“, sollte man hellhörig werden. Bei Bildern und Videos sei es außerdem sinnvoll, genau hinzugucken. „Mit modernen Technologien wie zum Beispiel generativer Künstlicher Intelligenz können mit relativ wenig Aufwand echt aussehende Bilder erzeugt werden“, sagt Frischlich. Aber: Auf den zweiten Blick seien oft Fehler zu erkennen, ergänzt Wolf. „Gliedmaßen sind lang gezogen, Gesichtsausdrücke sehen immer gleich aus oder Details am Rand des Bildes sind fehlerhaft dargestellt.“

Falschinformationen oft kaum wieder einzufangen

Wer ein Bild genauer prüfen wolle, der könne das mit der Bilder-Rückwärtssuche von Google machen, empfiehlt der Experte. „Wenn ein Bild ein Ereignis der letzten Woche zeigen soll, ich dann aber ein ähnliches Bild von vor einem Jahr finde, sollte ich vorsichtig sein.“ Gleiches gelte auch, wenn nur ein einziges Bild auftauche und keine anderen Fotos, die eine Szene aus einem anderen Blickwinkel zeigten. Auch das kann ein Hinweis darauf sein, dass das Bild mit KI erstellt wurde. Grundsätzlich, sagt Wolf, gelte immer: „Wenn ich unsicher bin, sollte ich mit dem Teilen so lange warten, bis ich davon überzeugt bin, dass der Inhalt den Tatsachen entspricht.“

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Das Problem: Ist eine falsche Information erst einmal in der Welt, ist es oft schwierig, sie wieder einzufangen. Zwar gebe es bisher keine Studien, die zeigten, dass Falschinformationen zum Beispiel zu einer Massenradikalisierung führen könnten, sagt Frischlich. „Was aber durchaus passiert, ist, dass sie das Vertrauen erschüttern.“ Vor allem durch verschwörungstheoretische Inhalte werde Misstrauen gegenüber demokratischen Prozessen oder Regierungen geschürt.

„Was wir im aktuellen Fall außerdem sehen, ist, dass Fehlinformationen zu einer Zunahme von Diskriminierung führen können“, sagt die Expertin. Im Zweifel sei es immer besser, etwas nicht zu teilen. Wer glaubt, eine potenzielle Falschinformation entdeckt zu haben, kann diese an Faktencheck-Seiten wie Mimikama oder Correctiv weiterleiten. Dort werden die Inhalte von Expertinnen und Experten geprüft.