Erfurt. Seit der Corona-Pandemie werden Menschen, die sich in politischen Ämtern engagieren, häufiger beleidigt oder ihnen werden schlimmste Dinge unterstellt. Die Zunahme der Delikte wird mit Sorge gesehen.

Das gesellschaftliche Klima in Thüringen ist rauer geworden: Die Zahl der Bedrohungen von Menschen, die sich politisch engagieren, hat sich in Thüringen innerhalb von sechs Jahren versechsfacht. Das geht aus einer Antwort des Innenministeriums auf eine Kleine Anfrage des CDU-Innenpolitikers Raymond Walk hervor. Demnach verzeichnete die Polizei im vergangenen Jahr 79 Fälle, in denen Personen des politischen Lebens durch Beleidigungen, üble Nachrede oder Verleumdung angegriffen wurden. In den Jahren 2017 und 2018 habe es 13 beziehungsweise 14 derartiger Delikte gegeben.

Während der Corona-Pandemie mit zahlreichen Protesten gegen die vom Staat verhängten Corona-Schutzmaßnahmen gab es dann einen deutlichen Anstieg der Fälle. Im Jahr 2021 wurden laut Ministerium 57 derartige Delikte registriert. „Das zunehmend aggressive Vortragen eigener Standpunkte und die ebenso gesteigerte Ablehnung anderer Meinungen haben zu einer Verrohung im Umgang in der politischen Auseinandersetzung geführt, was sich auch in der spürbaren Zunahme der Anzahl der Straftaten nach Paragraf 188 Strafgesetzbuch widerspiegelt“, hieß es in der Antwort.

Eine Gefahr für die Demokratie

Es sei offensichtlich, dass sich der politische Diskurs, die Tolerierung anderer Meinungen und der Austausch von Argumenten als Grundlagen der freiheitlich-demokratischen Grundordnung in den vergangenen Jahren stark verändert hätten, hieß es weiter. Auch CDU-Innenpolitiker Walk hält diese Entwicklung für besorgniserregend und eine große Gefahr für die Demokratie. „Es werden sich künftig viele Menschen im Freistaat die Frage stellen, ob sie sich unter solchen Umständen noch ehrenamtlich für unsere Gesellschaft einbringen wollen.“

In Deutschland gibt es mit dem Paragraf 188 Strafgesetzbuch einen eigenen Straftatbestand, nach dem all jene abgeurteilt werden sollen, die herausgehobene Personen des politischen Lebens beleidigen oder sich ihnen gegenüber der üblen Nachrede oder Verleumdung schuldig machen. Wer wegen eines solchen Straftatbestandes verurteilt wird, muss bei einer Beleidigung mit bis zu drei Jahren Haft rechnen. Für üble Nachrede oder Verleumdung sind nach diesem Paragrafen bis zu fünf Jahre Freiheitsstrafe möglich.

Der Wortlaut dieses Paragrafen macht klar, dass er ausdrücklich auch auf Kommunalpolitiker wie Bürgermeister angewandt werden kann: „Das politische Leben des Volkes reicht bis hin zur kommunalen Ebene“, heißt es dort.

Anstieg hängt mit Corona-Protesten zusammen

Dass der deutliche Anstieg der Fallzahlen mit den Protesten gegen die Corona-Schutzmaßnahmen zusammenhängt, wird auch aus der Detailaufschlüsselung sichtbar. Von den 57 vor zwei Jahren registrierten Fällen klassifizierte die Polizei 38 in den Phänomenbereich „nicht zuzuordnen“. Von den 79 Fällen aus dem vergangenen Jahr wurden 56 in diese Kategorie einsortiert. Nach dem damals noch gültigen Klassifizierungssystem der deutschen Polizeibehörden waren in dem Phänomenbereich „nicht zuzuordnen“ all jene Delikte erfasst worden, die sich nicht eindeutig etwa dem linken oder dem rechten politischen Milieu zuordnen ließen.

Laut dem Bundesinnenministerium steht ein wesentlicher Teil der dort registrierten Straftaten im Zusammenhang mit den Protesten gegen Einschränkungen aufgrund der Covid-19-Pandemie. Diese Delikte machten inzwischen 40,8 Prozent der gesamten politisch motivierten Straftaten aus, hieß es. Insgesamt registrierte das Bundeskriminalamt 2022 fast 59.000 politisch motivierte Straftaten in Deutschland.

Nachdem es massive Kritik an der Bezeichnung „nicht zuzuordnen“ gab, wurde dieser Phänomenbereich zum 1. Januar 2023 in „sonstige Zuordnung“ umbenannt.

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