Berlin. Huthi-Rebellen bedrohen im Roten Meer den Welthandel. Das schadet dem westlichen Wohlstand – und hat gewaltiges Konfliktpotenzial.

Wer durch Dschibuti fährt, dem dürfte schnell eine ungewöhnlich hohe Anzahl an ausländischem Militär auffallen. Die USA, Deutschland, Spanien, Italien und Frankreich unterhalten in der Hauptstadt des gleichnamigen ostafrikanischen Staates ebenso Stützpunkte und Präsenzen, wie China und Japan.

Kein Wunder: Nur wenige Hundert Kilometer entfernt liegt die Meerenge Bab al-Mandab, eines der engsten Nadelöhre des Welthandels überhaupt – und damit eine Arterie des Wohlstandes der westlichen Industrienationen. Und nicht nur der.

Bab al-Mandab: Tor der Tränen für den Welthandel

Durch die Meerenge, die auch als das Tor der Tränen bekannt ist, führt eine der wichtigsten Schifffahrtsrouten überhaupt: vom Fernen Osten und der arabischen Halbinsel ins Rote Meer und über den Suezkanal ins Mittelmeer und damit zu einem der größten aller Weltmärkte, der Europäischen Union. 17.000 Schiffe befahren sie jährlich, das sind zwischen zehn und zwölf Prozent des Welthandels.

Millionen Tonnen Rohstoffe und Waren passieren die rund 28 Kilometer breite Region, vor allem Rohöl und LNG aus Saudi-Arabien und dem Emirat Katar. Um die zehn Prozent des weltweit verschifften Öls muss durch die Meerenge. Rund 20 Prozent der Öl- und ein Viertel aller LNG-Importe in die EU passierten im Jahr 2022 das Tor der Tränen, Tendenz: steigend.

Denn der Staatenbund muss unabhängig sein von russischen Importen und schaut dafür nach Katar, das nach Russland über die größten bekannten LNG-Reserven verfügt. Gleichzeitig verschifft vor allem China einen Großteil seiner für den europäischen Markt vorgesehenen Exporte durch die Meerenge. Die „neue Seidenstraße“, sie führt durchs Rote Meer.

Welchen Schaden eine komplette Blockade der Meerenge anrichten kann, zeigte sich mittelbar, als das Containerschiff „Ever Given“ im März 2021 im Suezkanal auf Grund lief und die Passage für mehrere Tage unpassierbar machte. Geschätzt 9,6 Milliarden US-Dollar Warenwert hielt das gestrandete Schiff pro Tag auf. Die deutsche Allianz-Versicherung bezifferte den weltweit entstandenen Schaden auf sechs bis zehn Milliarden US-Dollar pro Woche.

Meerenge im Roten Meer: Blockade möglich

Zwar ist die Meerenge wesentlich breiter als der Suezkanal. Große Schiffe wie Tanker können Bab al-Mandab aber nur auf zwei engen Wasserstraßen befahren. Wer ein Interesse daran hat und über entsprechende Waffen verfügt, kann die Meerenge also zumindest vorübergehend unpassierbar machen – und genau das geschieht aktuell.

Die mit dem Iran verbündeten Huthi-Rebellen im Jemen bedrohen Handelsschiffe im Roten Meer mit Drohen, Raketen und Piraterie. So sehr, dass inzwischen mehrere große Reedereien ihre Schiffe angewiesen haben, die wesentlich teurere, weil knapp zehn Tage längere, Route um das Kap der Guten Hoffnung herum und den gesamten afrikanischen Kontinent hinauf zu befahren.

Das hat direkte Folgen für den weltweiten Handel: Wie im Fall der „Ever Given“, müssen Kunden in Europa länger auf ihre Waren warten, Produktionsketten kommen ins Stocken. Die Preise steigen an der Zapfsäule, im Supermarkt, beim Shopping. Und das bringt, die Folgen des Ukraine-Kriegs zeigen es, am Ende auch westliche Demokratien ins Wanken.

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Grafik-Karte Nr. 106479, Hochformat 60 x 65 mm, "Angriff auf Öltanker im Roten Meer"; Grafik: Mühlenbruch/Brühl, Redaktion: Brühl © DPA Images | dpa-infografik GmbH

Bedrohter Welthandel: USA rufen Sicherheitsallianz ins Leben

Um die Sicherheit für den Seeverkehr in der Region wiederherzustellen, haben die USA eine Sicherheitsallianz ins Leben gerufen. Sie trägt den – treffenden – Namen „Operation Prosperity Guardian“.

US-Verteidigungsminister Lloyd Austin redete bei deren Ausrufung nicht lange um den heißen Brei herum: „Das Rote Meer ist eine kritische Wasserstraße, die für den freien Schiffsverkehr essenziell ist und einen bedeutenden Geschäftsweg darstellt, der den internationalen Handel ermöglicht“, sagte er am Dienstag in einer Mitteilung seines Ministeriums.

Die Wohlstandswächter sollen Handelsschiffe besser vor Angriffen der Huthi-Rebellen schützen, teilte das US-Verteidigungsministerium weiter mit, die Attacken mit Raketen und Drohnen unterbinden. Das bedeutet, man ahnt es, im Zweifelsfall auch, deren Abschussrampen zu zerstören. Deutschland prüft nach Angaben von Verteidigungsminister Boris Pistorius eine Anfrage zur Beteiligung.

Iran kann seinen Erzfeind abwürgen

Die Meerenge ist nicht nur für die westlichen Industrienationen von außerordentlicher Bedeutung. Ganz entscheidend hängt auch Saudi-Arabiens Wohlstand, und damit die Existenz des Öl-Staats, an Bab al-Mandab.

Rund 40 Prozent des saudischen Bruttoinlandsprodukts entstehen aus Öl, bis zu 75 Prozent aller vom Königreich aufgewendeten Haushaltsmittel werden mit den Export-Erlösen im Bereich fossiler Energie bezahlt. Von Polizei über Verwaltung bis hin zum Militär: Quasi alles, was einen Staat ausmacht, hängt in Saudi-Arabien am Öl.

Gleichzeitig kann Saudi-Arabien seinen Reichtum zum allergrößten Teil nur über das Tor der Tränen und die Straße von Hormus exportieren. Und beide Engstellen bedroht der Erzfeind Iran, einmal direkt und einmal über die Unterstützung der Huthi-Rebellen im Jemen. Würde Iran die beiden Meerengen gleichzeitig blockieren (lassen), wäre Saudi-Arabien effektiv vom Welthandel abgeschnitten – der Golfmonarchie drohte der Kollaps.

So ist es kein Wunder, dass sich in Dschibuti Soldatinnen und Soldaten aus fast allen Ecken der Welt begegnen. Die Meerenge von Bab al-Mandab, das Tor der Tränen, ist eine der strategisch wichtigsten Regionen der Erde. Wer sie kontrolliert, sorgt für Stabilität – und rollende Rubel.

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