Berlin. US-Präsident Donald Trump ermutigt Russland dazu, europäische Staaten anzugreifen und sorgt damit für Alarmstimmung – aus gutem Grund.

Im November wird in den USA ein neuer Präsident gewählt. Und ob danach abermals der Republikaner Donald Trump ins Weiße Haus einziehen wird, ist noch lange nicht ausgemacht. Dennoch vermag es der 77-Jährige bereits jetzt, helle Aufregung auf der weltpolitischen Bühne zu verursachen: Am Wochenende stellte er Amerikas Sicherheitsgarantien für Nato-Alliierte infrage, die zu wenig Geld für die Verteidigung ausgeben.

Er würde Russland „sogar dazu ermutigen, zu tun, was auch immer zu Hölle sie wollen“, sagte Trump bei einer Wahlkampfveranstaltung. Die europäischen Verbündeten sind entsetzt. Aber auf dem alten Kontinent wird der Vorfall auch als Weckruf verstanden, endlich mehr zu tun für die eigene Verteidigung und sich nicht nur auf die USA zu verlassen. Aber wären die europäischen Staaten im Ernstfall tatsächlich in der Lage, sich allein gegen eine russische Aggression zu verteidigen? Ein Überblick.

Um welche Sicherheitsgarantien geht es?

Trump zielt mit seiner Aussage auf die Beistandsklausel des Nato-Vertrags. Dort heißt es in Artikel 5: „Die Parteien vereinbaren, dass ein bewaffneter Angriff gegen eine oder mehrere von ihnen in Europa oder Nordamerika als ein Angriff gegen sie alle angesehen wird.“ In der Nato gilt also wie bei den Musketieren das Prinzip „einer für alle und alle für einen“. Trump will dessen Anwendung aber davon abhängig machen, ob die einzelnen Mitgliedstaaten genügend Geld für die Verteidigung aufwenden. Wer zu wenig tut, soll den Schutz der Weltmacht USA verlieren. Die Nato-Staaten hatten 2006 erstmals vereinbart und seitdem mehrfach bekräftigt, dass jedes Mitgliedsland pro Jahr mindestens zwei Prozent seiner nationalen Wirtschaftsleistung in die Verteidigung investieren soll. Die meisten Staaten, inklusive Deutschland, verfehlten dieses Ziel aber bislang.

"Entsetzlich und verrückt": Sorge nach Trumps Äußerung zu Nato-Beistand

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    Wie wichtig sind die USA für die Nato?

    Die Nato hat zurzeit 31 Mitglieder, mit dem bevorstehenden Beitritt Schwedens werden es 32 sein. Die USA aber sind im Bündnis der bei weitem wichtigste Akteur. Ohne sie ginge nichts: Die Vereinigten Staaten verfügen über die schlagkräftigste und modernste Streitmacht des Planeten. Sie haben rund 1,4 Millionen Männer und Frauen unter Waffen. Entscheidend für die Abschreckung potenzieller Angreifer ist vor allem der Umstand, dass die USA mehr als 5.000 Atomsprengköpfe und die entsprechenden Trägersysteme besitzen. Wer sich mit den Vereinigten Staaten anlegt, riskiert die eigene Vernichtung.

    Wie schlagkräftig sind die europäischen Armeen?

    Die konventionellen Streitkräfte der europäischen Staaten sind viel kleiner als die US-amerikanischen und nach Jahrzehnten unzureichender Investitionen überdies oft in einem beklagenswerten Zustand – so wie die Bundeswehr. In ihr dienten zuletzt rund 180.000 Soldaten, denen es häufig an modernen Waffen, Fahrzeugen oder sogar simplen Ausrüstungsgegenständen fehlt. Mit dem Sondervermögen in Höhe von 100 Milliarden Euro, aufgelegt vor zwei Jahren nach Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine, steuert die Berliner Ampel-Regierung zwar gegen. Doch bis sich die Dinge in der Truppe grundlegend ändern, wird noch Zeit vergehen.

    Der ehemalige US-Präsident Donald Trump will wieder ins Weiße Haus einziehen.  Die Nato hält der 77-Jährige für obsolet. Nun hat er die Sicherheitsgarantien für die europäischen Verbündeten infrage gestellt.
    Der ehemalige US-Präsident Donald Trump will wieder ins Weiße Haus einziehen. Die Nato hält der 77-Jährige für obsolet. Nun hat er die Sicherheitsgarantien für die europäischen Verbündeten infrage gestellt. © AFP | Julia Nikhinson

    Auch andere europäische Armeen kommen bei weitem nicht an Größe, Ausstattung und Fähigkeiten der US-Streitkräfte heran: In Frankreich etwa dienten zuletzt rund 200.000 Männer und Frauen im Militär unter Waffen, in Großbritannien 185.000, in Italien 165.000, in Polen 202.000 und in der Türkei 355.000. Im Verteidigungsfall könnten die zusammen eingesetzt werden, plus Reservisten und Rekruten. In der Praxis würde die Zusammenarbeit aber unter anderem deshalb kompliziert, weil die europäischen Armeen zum Teil mit sehr unterschiedlichen Waffensystemen arbeiten.

    Verfügt Europa über eine eigene nukleare Abschreckung?

    Nein. Aber es gibt zwei europäische Staaten, die offiziell Atommächte sind: Das EU-Mitglied Frankreich sowie Großbritannien, welches seit Anfang 2020 nicht mehr Mitglied der Europäischen Union ist. Beide Länder gehören aber der Nato an. Frankreich verfügte zuletzt über 290 Atomsprengköpfe und Großbritannien über 225. Deutschland hat keine eigenen Atomwaffen und strebt den Besitz auch nicht an. Es gibt aber die so genannte „nukleare Teilhabe“: Im Verteidigungsfall würden auch deutsche Piloten mit Bundeswehr-Maschinen Atombomben an ihr Ziel bringen und abwerfen.

    Unabhängig davon werden in der Fachwelt intensive Debatten darüber geführt, ob und in welche Weise zumindest der französische Nuklearschirm zum Schutz der Europäischen Union genutzt werden könnte. Die Berliner Ampel-Regierung war am Montag bemüht, nach den jüngsten Trump-Äußerungen derartigen Debatten keine zusätzliche Nahrung zu geben. „Die Bundesregierung setzt in ihrer Sicherheits- und Verteidigungspolitik ganz klar auf das transatlantische Bündnis und die transatlantische Wertegemeinschaft und sieht ihre Sicherheit in der Nato gewährleistet“, sagte eine Sprecherin.

    Wäre Frankreich bereit, seine Atomwaffen zu europäisieren?

    Die französische Nuklear-Doktrin ist rein national. Über den Einsatz der Bomben entscheidet im Verteidigungsfall allein der Staatspräsident. Es ist kaum vorstellbar, dass sich das ändern wird und die Waffen zum Beispiel einer EU-Institution in Brüssel unterstellt werden. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hat den europäischen Partnern aber bereits eine Zusammenarbeit in Sachen Atomwaffen angeboten, etwa in Form von gemeinsamen Übungen.

    Bei einem Besuch beim künftigen Nato-Mitglied Schweden bekräftigte er Ende Januar seine Auffassung, dass die französische Nuklear-Abschreckung auch eine europäische Dimension habe. Ähnlich hatten sich auch Amtsvorgänger Macrons geäußert. Dahinter steht die Überlegung, dass sich die vitalen Interessen Frankreichs nicht von denen Europas trennen lassen. Eine Garantie dafür, dass der französische Nuklearschirm auch die anderen Europäer schützt, erwächst daraus bislang aber nicht.

    Wie ordnen Fachleute die jüngsten Trump-Äußerungen ein?

    Der Militär-Experte Carlo Masala von der Universität der Bundeswehr München meinte mit Blick auf die Einlassungen des ehemaligen US-Präsidenten und jetzigen Wahlkämpfers: „Die USA unter einem Präsidenten Trump müssen die Nato nicht verlassen, um sie zu schwächen. Solche Sätze reichen.“ Der Chef der Münchner Sicherheitskonferenz, Christoph Heusgen, zeigte sich am Montag wenig überrascht angesichts von Trumps Drohungen. „Er ist so, wie er ist“, sagte Heusgen.

    Der Diplomat erinnerte auch daran, dass Trump als US-Präsident die Verbündeten immer wieder rabiat aufgefordert hatte, mehr Geld in die Rüstung zu stecken. Der gegenwärtige Amtsinhaber Joe Biden tue das auch, wenn auch deutlich höflicher im Ton. Das transatlantische Verhältnis und die Risiken einer möglichen zweiten Trump-Präsidentschaft werden auch ein Schwerpunkt bei der Sicherheitskonferenz sein, die vom Freitag bis Sonntag in München stattfindet. Erwartet werden mehr als 50 Staats- und Regierungschefs sowie 100 Minister aus aller Welt.