Berlin. Nur wenige Tage nach dem jüngsten Streik der Eisenbahngewerkschaft droht die EVG der Bahn mit deutlich längeren Protesten als bisher.

Die Eisenbahngewerkschaft EVG droht im Tarifkonflikt mit der Bahn mit längeren Streiks als bisher. Gegenüber der "Süddeutschen Zeitung" bestätigte Verhandlungsführerin Cosima Ingenschay: "Die nächsten Streiks werden länger dauern." Die Gewerkschaft sei bereit, bisherige Streiks deutlich zu überbieten. Die EVG könne die Bahn, wenn nötig, "wochenlang lahmlegen", heißt es.

Die Ansage folgt nur eine Woche nach dem jüngsten EVG-Streik am vergangenen Freitag: Letzte Woche und Ende März hatte die Gewerkschaft den Bahnverkehr in fast ganz Deutschland für viele Stunden lahmgelegt.

Bahn: EVG fordert deutliche Lohnerhöhungen

Die Eisenbahngewerkschaft befindet sich in einem heftigen Tarifkonflikt mit der Bahn und weiteren Zugunternehmen und wirft den Arbeitgebern dabei vor, ein akzeptables Lohnangebot zu verweigern. Ende Februar ist nach zwei Jahren der Tarifvertrag in der Bahnbranche ausgelaufen. Die EVG will seither mit rund 50 Bahnunternehmen in Deutschland einen neuen Tarifvertrag abschließen.

Das mit Abstand größte und wichtigste Unternehmen ist die Deutsche Bahn, wo es um rund 180.000 Konzernbeschäftigte geht. "Es ist die Bahn, die die neuen Streiks provoziert", betonte Ingenschay. So sei es denkbar, dass die Gewerkschaft nacheinander unterschiedliche Berufsgruppen im Wechsel zum Streik aufrufe, etwa Zugbegleiter und Instandhalter, oder unterschiedliche regionale Schwerpunkte setze.

Die EVG fordert bei einer Laufzeit von zwölf Monaten Lohnerhöhungen von insgesamt zwölf Prozent, mindestens aber monatlich 650 Euro brutto mehr. Auch möchte die Gewerkschaft regionale Unterschiede zwischen Ost und West, Nord und Süd bei der Bezahlung gleicher Arbeit angleichen. Zudem soll es um verschiedene Fonds und Zuschüsse etwa zu Betriebsrenten gehen. Am Mittwoch war die dritte Verhandlungsrunde gescheitert.

Bahn und EVG: So weit sind die Gespräche

Verhandelt wird bereits bei einzelnen Bahnunternehmen. Ergebnisse liegen nicht vor – unter anderem auch, weil die kleineren Bahnunternehmen abwarten, wie es bei der Deutschen Bahn weitergeht.

Zwischen dem Staatskonzern und der Gewerkschaft gibt es bisher nur öffentliche Scharmützel – offizielle Gespräche laufen nicht. Drei Verhandlungsrunden wurden bisher nicht genutzt. Die nächste Runde soll Ende Mai stattfinden.

Bahn: Was bieten die Arbeitgeber?

Die Deutsche Bahn als größter Arbeitgeber hat zuletzt ein Plus von zehn Prozent für mittlere und untere Einkommen angeboten, zahlbar in zwei Schritten zu fünf Prozent im März und im August 2024. Obere Einkommen sollen um acht Prozent steigen, ebenfalls in zwei Schritten. Zudem ist für 2023 ein steuerfreier Inflationsbonus von 2850 Euro vorgesehen. Die Bahn stellt sich eine Vertragslaufzeit von 27 Monaten vor. Zudem soll es einen Mindestlohn von 13 Euro geben. Und über einheitliche regionale Entgelte will sie auch verhandeln.

Tarifkonflikt: Warum können beide Seiten nicht einfach miteinander reden?

Nach außen wirkt das Hickhack zwischen EVG und Deutscher Bahn nur noch bizarr. Beide Seiten geben sich die Schuld daran, dass nichts voran geht. Die EVG beklagte, die Bahn habe im Februar kein Angebot vorgelegt, zur zweiten Runde nur zweieinhalb Seiten, in dieser Woche etwas mehr, dafür praktisch den Abschluss des öffentlichen Dienstes, wo die Bahn doch komplett anders strukturiert sei. Außerdem sind wesentliche Punkte, über die die Gewerkschaft reden möchte, nicht Teil des Angebots. Weshalb das Angebot der Bahn aus Sicht der EVG kein Angebot ist, über das man verhandeln kann.

Die Bahn wiederum sagt, sie lege das höchste Angebot in der Geschichte der Bahn vor und die Gewerkschaft wolle nicht darüber reden. Beide Seiten hängen sich auch an – plakativen – Einzelheiten auf, etwa am Mindestlohn, der 2500 bis 3000 der 180.000 Mitarbeiter der Bahn betrifft. Die Bahn weiß, wie ein Angebot aussehen muss, das die EVG als verhandelbar ansieht. Und die EVG weiß, wann sie einfach mal zu Gesprächen bereits sein sollte. Offenbar geht es um mehr als nur Geld.

Bahn und EVG: Das steckt hinter der Verhandlungen

Die EVG tritt mit einem neuen Verhandlungsteam an, das möglicherweise zeigen muss, wie durchsetzungsfähig es ist. Die Gewerkschaft galt bisher im Vergleich zur Lokführergewerkschaft GDL als zurückhaltender. Die GDL versucht seit Jahren, nicht nur für die Lokführer, sondern auch für andere Gruppen Tarifverträge abzuschließen und will dafür Mitglieder gewinnen – auch von der EVG.

Die Arbeitgeber wiederum versuchen, die Gewerkschaft ins schlechte Licht zu rücken. Die EVG vermutet sogar, die Deutsche Bahn zögere die Gespräche absichtlich hinaus, um die Gewerkschaft als die Bösen darzustellen und die Streiks zu nutzen, um „Fehler der Führung zu verdecken“. Aber Achtung: Auch solche Aussagen sind Teil der Verhandlungstaktik. Wie auch die Anfrage der EVG bei der Bahn nach Verhandlungsterminen im September. Dann sollte längst ein Tarifvertrag stehen.

Streiks und Verhandlungen: Wie geht es weiter?

So, wie es gerade aussieht, läuft alles auf weitere Ausstände hinaus. Anders als beim vergangenen Warnstreik dürfte es diesmal nicht bei einem Freitagvormittag bleiben. Die EVG sprach von „massiven Warnstreiks“.

Die Streikkasse ist nach eher ruhigen Jahren prall gefüllt. Mittelfristig hat die EVG mehr Druckpotenzial als der Konzern. Streiken die Fahrdienstleiter, kann kein Zug fahren. Ähnlich war es bei der letzten Tarifrunde für die Lokführer. Ohne die fährt kein Zug. Die Bahn musste letztlich Zugeständnisse machen.

EVG: Darf sie streiken?

Auch wenn es Bahnkunden nervt, die EVG darf streiken. Solange es verhältnismäßig ist. Beim letzten Warnstreik bestätigte das Arbeitsgericht Frankfurt das wieder einmal. Und die Gewerkschaft tut, wofür es sie gibt, nämlich gute Arbeitsbedingungen und Bezahlung für die Beschäftigten auszuhandeln, notfalls mit Druck. (mit day/afp)

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