Washington/Belfast/Dublin. US-Präsident Biden feiert irische Tage – privat wie politisch. Sein Besuch auf der Insel ist aber auch ein Bekenntnis zur Diplomatie.

Wenn er einmal sterbe, sagte Joe Biden schon vor langer Zeit, wird „der Nordosten Pennsylvanias auf meinem Herzen geschrieben stehen. Aber Irland auf meiner Seele”. Ab Dienstagabend ist der 46. Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika da, wo er sich noch immer tief verwurzelt und mit dem Herzen verstanden fühlt – auf der „Grünen Insel”.

Für den 80-Jährigen, der demnächst seine Ambition für eine zweite Amtszeit offiziell machen will, ist die bis Freitag eng getaktete Reise ein emotionaler Trip in die eigene Vergangenheit. Und ein Fingerzeig für die ungewisse Zukunft der beiden Irlands – die britische Provinz und ehemalige Bürgerkriegsregion Nord-Irland und die Republik Irland – zugleich.

Owen Finnegan, Bidens Ururgroßvater mütterlicherseits, wanderte mit Millionen anderen Iren in den 1840er Jahren der großen Hungersnot von der Cooley-Halbinsel nach Amerika aus. Väterlicherseits trat Edward Blewitt aus dem Städtchen Ballina wenige Jahre später den gleichen Weg an. Er landete in Scranton im Nordosten Pennsylvanias, wo Joe Biden geboren wurde. Die Ahnenforscherin Megan Smolenyak beschreibt Bidens Abstammung darum augenzwinkernd als „etwa zu fünf Achtel irisch”.

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Ahnenforscherin: Biden ist zu „etwa fünf Achtel irisch“

In Ballina, das sich seit Wochen für den hohen Besuch herausgeputzt, will Joe Biden am Freitag auf einer Bühne neben der St. Muredach-Kathedrale eine Rede halten, „um die tiefen, historischen Bande zu feiern, die unsere Länder und Menschen verbinden”.

20.000 (sorgsam überprüfte) Zuschauer, darunter Joe Blewitt, Bidens Cousin dritten Grades, werden am Ufer des für seine Lachse bekannten Flusses Moy stehen und zuhören. Der Schauplatz kommt nicht von ungefähr. Zehntausende Steine für die Pfeiler der Kirche lieferte im Jahr 1828 Edward Blewitt. Für den Lohn kaufte er für sich und seine Familie die Schiffskarten nach Amerika.

Ein Geschäftshaus in Ballina ist in Erwartung des Besuches von US-Präsident Biden mit irischen und US-Flaggen geschmückt.
Ein Geschäftshaus in Ballina ist in Erwartung des Besuches von US-Präsident Biden mit irischen und US-Flaggen geschmückt. © dpa | Christoph Meyer

Man darf davon ausgehen, dass Joe Biden auch in dieser Rede seine tiefe Verehrung für Irlands Dichter zum Ausdruck bringen wird. Vor allem Seamus Heaneys Adaption des altgriechischen Versdramas „The Core At Troy” hat es ihm angetan. Weil darin die schöne, Mut spendende Formulierung auftaucht, dass sich manchmal „Hoffnung und Geschichte reimen”.

Biden wird an „Karfreitagsabkommen“ erinnern

Im vor 25 Jahren maßgeblich durch US-Mediation zustande gekommenen „Karfreitagsabkommen” sieht Biden diese poetische Fusion nahezu erfüllt. Der Vertrag vom 10. April 1998 beendete de facto einen 30 Jahre tobenden Bürgerkrieg – auf der einen Seite die meist katholischen Befürworter einer Vereinigung der beiden Teile Irlands, auf der anderen die protestantischen Anhänger der Union mit England (samt Polizei und britischer Armee). Bei den verharmlosend „troubles” genannten Auseinandersetzungen kamen 3700 Menschen ums Leben, 50.000 wurden verletzt.

Als Joe Biden noch Senator war, sah sein demokratischer Parteifreund Bill Clinton im Weißen Haus die Verpflichtung, Amerika als Streitschlichter in Stellung zu bringen. Drei Besuche zwischen Belfast, Derry und Dublin - 1995, 1998 und 2000 - unterstreichen die Wichtigkeit, die Clinton dem Thema beimaß. Bei diversen Gelegenheiten, auch im Beisein des britischen Premierministers Rishi Sunak, wird Biden in den kommenden Tagen zwischen Belfast und Dublin an die diplomatische Meisterleistung erinnern.

Nordirland streitet weiter über Folgen des Brexit

Sie nimmt sich heute angesichts der extrem volatilen Lage im Nahen Osten, in der Ukraine, rund um den Iran und Taiwan sowie den erschütterten Beziehungen zu Russland und China wie ein positiver Ausreißer verblichener US-Außenpolitik aus. Zudem gibt es Fragezeichen. Trotz Friedens herrscht in Nordirland weiter Segregation. Protestanten und Katholiken leben vielerorts durch Mauern getrennt. Erst vor wenigen Tagen kam es zu gewalttätigen Ausschreitungen, bei denen zum Glück niemand verletzt wurde.

US-Präsident Joe Biden beim Easter Egg Roll in Washington: Ob er auch in Irland ein Bad in der Menge nimmt?
US-Präsident Joe Biden beim Easter Egg Roll in Washington: Ob er auch in Irland ein Bad in der Menge nimmt? © AFP | Andrew Caballero-Reynolds

Ein weiteres Problem: Die großen Parteien, die republikanische Sinn Fein, die moderate Alliance Party und die England-treue DUP, kriegen es seit über einem Jahr nicht hin, eine funktionsfähige Regierung zu bilden und im Stormont, im Parlament, sachdienliche Politik zu machen. Ein Grund: Brexit, der Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union.

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Dass sich Nordirland weiter an Produkt- und Zollvorschriften der EU halten muss, geht der DUP gegen den Strich. Joe Biden will sich hier nicht als Tempomacher aufführen. Wenngleich sein außenpolitischer Sprecher John Kirby betont, dass die USA bereitstünden, „das große wirtschaftliche Potential Nordirlands zu unterstützen”.

Biden in Irland – eingereiht in Riege früherer Präsidenten

Joe Biden ist vielleicht der leidenschaftlichste und konstanteste Irland-Fan an der Pennsylvania-Avenue – aber beileibe nicht der erste US-Präsident, der die „grünen Fäden” in seinem „Gewebe“ betont. Und damit landsmannschaftlich bei über 30 Millionen Amerikanern andockt, die sich ebenfalls zu ihren Vorfahren in Europa bekennen. John F. Kennedy, bis dahin der erste irisch-katholische Politiker, der es ins Weiße Haus schaffte, besuchte im Sommer 1963 fünf Monate vor seiner Ermordung in Dallas die Heimat seiner Ur-Großeltern, die – zum Teil aus der Grafschaft Wexford – allesamt nach Boston immigrierten.

„JFK” war der erste auswärtige Staatschef, der vor beiden Kammern des Parlaments sprach und dabei von Kameras begleitet werden durfte. Richard Nixon folgte ihm sieben Jahre später bei einem Besuch eines Friedhofs in der Grafschaft Kildare, wo Vorfahren seiner Mutter beerdigt sind. Ronald Reagan kam im Sommer 1984 nach Ballyporeen in der Grafschaft Tipperary, wo 1829 sein Ur-Großvater Michael Regan das Licht der Welt erblickte.

Barack Obama schließlich würdigte 2011 seine irische Vergangenheit, die auf seinen Ur-Ur-Ur-Großvater Falmouth Kearney zurückgeht, der aus dem kleinen Dorf Moneygall stammt; auch er ein Armutsflüchtling der großen Hungerkrise. Obama war es auch, der leidenschaftlich nickte, als Joe Biden vor Jahren die Definition dafür abgab, was Irisch-Sein bedeutet: „Familie, Glauben und ganz besonders Mut.”