Berlin. Neue Regeln für Schutzsuchende, länger geltende Arbeits-Visa: Ein internes Papier macht Vorschläge zur Entlastung der Asylbehörden.

Es sind die Zahlen, die Politikerinnen und Politiker nervös machen. Ende 2022 waren in Deutschland gut drei Millionen Menschen bei den Ausländerbehörden als Schutzsuchende erfasst – laut Statistikamt ein Anstieg um 1,14 Millionen Menschen im Vergleich zum Vorjahr. Das ist der höchste Zuwachs seit Beginn der Erhebung 2007. Das hat vor allem einen Grund: Eine Million Menschen flohen vor dem russischen Angriff aus der Ukraine nach Deutschland. Zugleich steigt auch die Zahl der Asylsuchenden aus Staaten wie Syrien, Afghanistan und Türkei an.

Der Druck auf die Landkreise bei der Unterbringung der Schutzsuchenden ist groß. Seit Monaten debattieren Vertreter von Bund, Ländern und Kommunen, wie Geflüchtete schneller und besser versorgt werden können: Schlafplätze werden knapp, Wohnungen noch knapper. Es fehlt an Personal zur Betreuung, etwa in Schulen, es fehlen Integrationskurse.

Geflüchtete aus der Ukraine laufen nach ihrer Ankunft durch die Eingangshalle vom Messebahnhof Laatzen, Niedersachsen. Auf einem Banner im Hintergrund steht
Geflüchtete aus der Ukraine laufen nach ihrer Ankunft durch die Eingangshalle vom Messebahnhof Laatzen, Niedersachsen. Auf einem Banner im Hintergrund steht "Willkommen in Hannover" auf Ukrainisch. © dpa | Michael Matthey

Die politische Krise wächst – genauso wie die Asylzahlen. Deutschlands Gemeinden erleben eine „sich weiter zuspitzende Situation“, wie es in einem internen Arbeitspapier von Bund, Ländern und Kommunen heißt, das unserer Redaktion vorliegt. Seit Februar treffen sich Vertreter aller Seiten mehrfach wöchentlich. Es ist die Ebene der Fachleute: Referatsleiterinnen und Abteilungschefs der Ministerien, der Spitze der Kommunen, der Staatskanzleien der Länder. Sie bereiten den großen Flüchtlingsgipfel am 10. Mai im Bundeskanzleramt vor. Sie basteln an sehr detaillierten behördlichen Verordnungen, an Bauregularien, an Paragrafen im Aufenthaltsrecht. Das Ziel: Entlastung in den Behörden vor Ort, im Alltag des Asylsystems in den Kommunen.

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Es ergebe Sinn, dass sich Innenministerien und Ausländerbehörden zusammensetzen und konkrete Maßnahmen zur Entlastung vor Ort schaffen, sagt Daniel Thym, Rechtsprofessor und Migrationsexperte an der Universität Konstanz, unserer Redaktion. Auf der Arbeitsebene ließen sich nicht die großen politischen Fragen des EU-Asylsystems oder der Finanzierung der Unterbringung von Schutzsuchenden lösen. „Das Getriebe der Asylpolitik wurde nicht ausgetauscht, aber an vielen Stellen wurde geölt, wurden Prozesse geschmeidiger gemacht.“

Die Kommunen sehen Fortschritte, aber auch Baustellen, die bleiben. „Wichtige Vorschläge liegen auf dem Tisch, zugleich bleiben zentrale Fragen wie die stärkere finanzielle Hilfe durch den Bund ungeklärt“, bilanziert der Präsident des Deutschen Landkreistags, Reinhard Sager, gegenüber unserer Redaktion.

Längere Visa, Erleichterungen im Aufenthaltsrecht

Das sind zentralen Vorschläge vor dem großen Flüchtlingsgipfel: Vor allem die Ausländerbehörden sind derzeit vielerorts am Limit. Sie müssen die große Zahl der Anträge der Geflüchteten aus der Ukraine stemmen, ihnen Hilfen ausstellen, zugleich Aufenthaltstitel anderer Asylsuchender verlängern, ihre Unterbringung organisieren oder Ausländer zur Ausreise verpflichten. Teilweise aber stauen sich Tausende E-Mails und Anfragen. Durch aktuelle Vorstöße wie das Fachkräfteeinwanderungsgesetz und das Chancen-Aufenthaltsrecht sei die Gesetzeslage für die Behörden vor Ort „immer komplexer geworden“, was den „Vollzug“ erschwere und zu mehr „Beratungsbedarf“ bei Ausländern führe.

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„Eine deutliche Entlastung“ der Behörden vor Ort ergebe sich dadurch, dass „die Geltungsdauer einer Aufenthaltserlaubnis für subsidiär Schutzberechtigte auf drei Jahre verlängert wird“, heißt es in dem Papier, an dem Abteilungen verschiedener Bundesministerien, Staatskanzleien mehrerer Landesregierungen sowie kommunale Spitzenverbände gearbeitet haben. Subsidiär Schutzberechtigte sind nicht als Flüchtlinge anerkannt, etwa weil sie politisch von Staaten verfolgt sind. Sie können aber nicht in ihr Heimatland, weil ihnen dort Gefahr droht. Und: Mit einem Viertel aller Asylentscheidungen machten sie 2022 den Großteil der anerkannten Geflüchteten aus.

So viele Menschen wie noch nie sind weltweit auf der Flucht: Zuletzt sorgte das Erdbeben in der Türkei dafür, dass Zehntausende Menschen ihre Heimat verloren, darunter auch Menschen aus Syrien, die schon seit Jahren unter Gewalt und Krieg leiden.  BULENT KILIC / AFP)
So viele Menschen wie noch nie sind weltweit auf der Flucht: Zuletzt sorgte das Erdbeben in der Türkei dafür, dass Zehntausende Menschen ihre Heimat verloren, darunter auch Menschen aus Syrien, die schon seit Jahren unter Gewalt und Krieg leiden. BULENT KILIC / AFP) © AFP | BULENT KILIC

Viele Syrer sind „subsidiär“, also auf Zeit, hier in Deutschland, weil in ihrer Heimat Krieg und Diktatur herrschen. Bisher erhalten diese Menschen einen Aufenthaltstitel für ein Jahr, der allerdings schon heute auf drei Jahre verlängert werden kann – jedoch immer mit Termin, Beratung und Bearbeitung durch die Behörde vor Ort. Der Vorschlag nun führe zu „deutlich weniger Arbeit bei den Behörden vor Ort. Das ist ein wichtiger Schritt“, sagte der Präsidenten des Deutschen Landkreistags, Reinhard Sager, unserer Redaktion auf Nachfrage. Das verantwortliche Bundesinnenministerium teilt mit, man werde diesen Vorschlag prüfen und „gegebenenfalls erforderliche Schritte“ einleiten.

Künftig wollen die Behörden zudem stärker auf den digitalen Versand von Aufenthaltstiteln setzen und Ausländerbehörden besser etwa mit Jobcentern vernetzen. Ein „besonders hohes Entlastungspotenzial“ sehen Fachleute in dem Vorschlag, die Visa zum Arbeiten in Deutschland und zum Familiennachzug (das sogenannte D-Visum) von bisher drei oder sechs auf zwölf Monate Dauer zu erweitern. Unterstützung für den Vorstoß signalisiert das verantwortliche Außenministerium.

Pragmatisches Baurecht für Asylunterkünfte

Eine Sonderregel im Baugesetzbuch aus der Zeit der Asylkrise 2015 will die Bundesregierung bis Ende 2027 verlängern. Ein Vorschlag liegt bei den Regierungsfraktionen der Ampel-Koalition. Die Länder sollen nun weitere Vereinfachungen bei Bauordnungen prüfen, etwa beim Bestandschutz, sodass bestehende Gebäude schnell und „ohne überbordenden technischen Aufwand für das Wohnen“ nutzbar sind, wie es in dem Arbeitspapier heißt. Auch hier fordern Länder und Kommunen eine stärkere finanzielle Beteiligung des Bundes beim Umbau etwa von alten Kasernen oder Gewerbegebäuden in Flüchtlingsunterkünfte.

Will Ländern und Kommunen helfen – und ist zugleich unter Druck, mehr zu tun: Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD).
Will Ländern und Kommunen helfen – und ist zugleich unter Druck, mehr zu tun: Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD). © dpa | Paul Zinken

Die Kommunen setzen sich dafür ein, dass die Landesregierung bei der Verteilung von Geflüchteten in den Gemeinden stärker auch die dortige Wohnungssituation einbeziehen. In vielen Landkreisen und Städten herrscht Mangel an Wohnungen, ist kaum Leerstand zu finden. Das Bundesinnenministerium hat mit Ländern und Kommunen ein „interaktives Dashboard“ entwickelt. Seit März steht es demnach bereit, einen besseren bundesweiten Überblick über Kapazitäten bei der Unterbringung von Geflüchteten zu schaffen.

Ein weiterer Baustein: Das Bauministerium öffnet ein Förderprogramm für „innovative Projekte“ auch für Flüchtlingshilfe. Wenn eine Kommune dieses oder kommendes Jahr eine Asylunterkunft baut, kann sie Geld vom Bund aus diesem Programm erhalten.

Mehr Abschiebungen, mehr Abschottung

Gerade aus den Kommunen kommt die Forderung, mehr ausreisepflichtige Ausländer abzuschieben. Das ist Sache der Länder, oftmals unterstützt die Bundespolizei. Viele Rückführungen scheitern, weil Herkunftsländer keine Pässe ausstellen, oder die Menschen krank sind – oder untergetaucht. Gerade bei der Passbeschaffung sehen Länder und Kommunen den Bund in der Pflicht, die Bundesregierung solle die „rechtlich, wirtschaftlich und diplomatisch zur Verfügung stehenden Mittel schnellstmöglich und konsequent“ einsetzen, um Abschiebungen zu erleichtern, heißt es in dem Arbeitspapier.

„Eine zentrale Forderung der Kommunen an den Bund ist die Einstufung der Staaten Georgien, Marokko, Algerien und Tunesien als sichere Herkunftsländer“, sagt Landkreis-Präsident Sager. „Hier brauchen wir endlich Ergebnisse.“ Lesen Sie auch: Eintracht-Fan und Ministerin – so tickt Nancy Faeser

Länder und Kommunen drängen demnach zudem darauf, den Zuzug „irregulärer Migration“ nach Deutschland zu begrenzen. Eine Forderung, die immer wieder laut wird. Doch Versuche, die Verteilung von Menschen innerhalb der EU gerechter zu steuern, scheitern seit Jahren in Europa. Im Arbeitspapier sind „kurzfristig wirksame Grenzschutzmaßnahmen“ an der EU-Außengrenze genannt. Zeige sich auch hier keine „Wirkung“, sei auch eine vorübergehende Binnengrenzkontrolle zu prüfen. Gerade erst hatte Bundesinnenministerin Nancy Faeser die Kontrollen zu Österreich, die seit 2015 bestehen, um weitere sechs Monate verlängert.