Jena. Der Jenaer Soziologe und Rechtsextremismusforscher Matthias Quent zeigt, wohin sich die AfD bewegt. Die Gefahr aber droht vor allem auch durch Konservative, die mit Rechtsradikalen gemeinsame Sache machen.

Matthias Quent ist Direktor des Instituts für Demokratie und Zivilgesellschaft (IDZ) in Jena. Er wurde 1986 in Arnstadt geboren und hat früh erlebt, was es bedeutet, in einem Rechtsaußen-Umfeld zu leben.

Sie steigen ganz persönlich ein. Warum?

Es ist Teil meiner Biografie, dass ich schon früh mit Rechtsradikalismus und Gewalt konfrontiert wurde. Ich habe mir das ja nicht ausgesucht. Ich treffe oft andere Menschen mit ähnlichen Erfahrungen in den 1990er und 2000er Jahren, die das alles auch nicht losgelassen hat und die sich deshalb engagieren und etwas auf die Beine stellen.

Wann begann dieser Ruck nach Rechtsaußen?

Es gab, anders als das immer gerne gesagt wird, 1945 keine Stunde Null. Wir sind damals eben nicht gestartet als ein liberales, demokratisches Volk, sondern als eine Bevölkerung der vielen geschlagenen Nazis. Die eigenen Werte eines hervorragenden Grundgesetzes mussten erst Stück für Stück verinnerlicht werden. Für diese Schritte hatte die westdeutsche Gesellschaft viel mehr Zeit als die ostdeutsche. Diese Ungleichzeitigkeit erklärt auch, warum bestimmte Probleme hier jetzt sichtbarer sind als in den alten Bundesländern. Aber die Vorstellung, dass wir alle so liberal, demokratisch und aufgeklärt wären und das mit der AfD zwar ganz schlimm, aber auch ganz neu und die Flüchtlingspolitik der Merkelregierung an der Polarisierung schuld sei, ist schlicht kontrafaktisch.

Sie meinen: Das entspricht nicht der Wahrheit?

Genau. Der Rechtsradikalismus hat immer dazugehört. Und das zeige ich in diesem Buch. Wenn ich also über meine Jugendjahre in Arnstadt schreibe, dann geht es nicht nur um die rechtsradikale Gewalt, sondern auch um den damaligen Bürgermeister, der schon lange vor der AfD ein Rechtspopulist war, sich mit rechten Parteien gemein und mit Jörg Haider zusammen Politik gemacht hat.

Und der – wie Sie schreiben – nach dem Erfurter Gutenberg-Massaker den Aufkleber hatte...

... ich bin die Waffenlobby.

Er sei kein Nazi, sagte er, denn...

... im Nationalsozialismus stecke ihm zu viel Sozialismus. Ähnlich argumentiert heute Erika Steinbach...

Dieser Mann wurde von den Arnstädtern wiedergewählt...

Ja. Das wurde von der Bürgerschaft nicht problematisiert.

Wer auf diese Geschichte hinweist, gilt wahrscheinlich heutzutage immer noch als Nestbeschmutzer, oder?

Ein wichtiges Anliegen meines Buches lautet: Den braunen Osten gibt es so nicht. Im Gegenteil: Es gibt viele zivilgesellschaftlich engagierte Menschen. Die historische Aufholleistung nicht nur in der Wirtschaft, sondern auch in der politischen Kultur ist in großen Teile der Bevölkerung in kurzer Zeit in hervorragender Weise bewältigt worden. Und das trotz all der Existenzsicherungsfragen und der Gewalt.

Nun sagt aber beinahe jeder Vierte, dass er Björn Höcke und seinen „Flügel“ in den Landtag wählen will. Dabei steht der eher rechts draußen als rechts außen, oder?

Höcke ist, wie Historiker das nennen, ein Präfaschist oder ein Protofaschist. Er steht in der Tradition der antiliberalen, antidemokratischen Bewegungen der 1920er Jahre. Das zeige ich in dem Buch. Über ihn sickern in den ideologiearmen Rechtspopulismus knallharte rechtsradikale Positionen ein. Das will ein Teil der Wählerschaft nicht wahr haben. Aber wir müssen auch zur Kenntnis nehmen, dass seit 2001 der Thüringen Monitor feststellt, dass damals 25 Prozent, heute 20 Prozent der Thüringerinnen und Thüringer rechtsextrem eingestellt sind.

Ist die Demokratie in Gefahr?

. Denn aus eigener Kraft schaffen es weder populistsche noch radikale Rechte an die Macht. Das gelingt ihnen nur, wenn Demokratinnen und Demokraten die großen Unterschiede beiseite wischen und mit Rechtsaußen Koalitionen bilden.

Mike Mohring schließt so eine Koalition aus. Glauben Sie, dass er wortbrüchig wird?

Nein, das ich denke nicht. Andererseits: Was ist, wenn die Wahlergebnisse so sind, wie in der jüngsten Umfrage und es Druck von der Basis gibt... Die Gefahr besteht vor allem in Sachsen und 2021 in Sachsen-Anhalt. Wenn so ein Bann erst gebrochen ist und machttaktische Überlegungen bestimmend sind, ist das der schleichende Prozess, in dem sich Demokratien aushöhlen, wie sich in Österreich bei ÖVP und FPÖ zeigt.

Dr. Matthias Quent stammt aus Arnstadt, ist Soziologe und Rechtsextremismusforscher. Er leitet das Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft (IDZ) der Amadeu Antonio Stiftung in Jena. Am Montag, 5. August, erscheint sein Buch: Deutschland rechtsaußen. Wie die Rechten nach der Macht greifen und wie wir sie stoppen können, 300 S., Piper Verlag, 18 Euro. Dieser Text ist ein geraffter Auszug aus dem Kapitel Ostdeutschland: eine Projektionsfläche.

Am Donnerstag, 22. August, öffentliche Buchvorstellung um 18 Uhr im Historischen Rathaus in Jena ; Eintritt frei