Erfurt. Mit den Stimmen von CDU und AfD kam der Liberale Thomas Kemmerich an die Spitze des Thüringer Landtags. Vorerst gibt es keine weiteren Regierungsmitglieder.

Seine Wahl ist historisch – und mit dem Ergebnis scheint er selbst am wenigsten gerechnet zu haben: Als Thomas Kemmerich am Mittwoch im Landtag in Erfurt zum neuen Thüringer Ministerpräsidenten erklärt wird, ringt der FDP-Chef sichtlich um Haltung. Er hatte im dritten Wahlgang 45 Stimmen erhalten, Bodo Ramelow (Linke) 44 Stimmen. Die Glückwünsche nimmt Kemmerich mit versteinerter Mine entgegen. Auch als ihm Linke-Landeschefin Susanne Hennig-Wellsow einen Blumenstrauß vor die Füße wirft, zeigt er keine Regung.

„Ich zeuge den größten Respekt vor der neuen Aufgabe“, sagt Kemmerich später in seiner ersten Rede als Ministerpräsident im Parlament unter lauten Zwischenrufen. Er sei als „Kandidat der bürgerlichen Mitte“ angetreten und ist schließlich mit den Stimmen der AfD ins Amt des Regierungschefs gehievt worden. Der Thüringer CDU-Partei- und Fraktionschef Mike Mohring versucht unmittelbar danach, seine Hände in Unschuld zu waschen: „Wir sind nicht in der Verantwortung. In der Verantwortung ist der neue Ministerpräsident, der die Vorschläge für das Land machen muss. Wir erwarten, dass es unter klarer Abgrenzung der AfD passiert.“ Kemmerich sei zur Wahl angetreten und habe sich ganz offensichtlich von der rechten AfD mit wählen lassen, nicht er. Mohring forderte nach der Wahl Kemmerich auf, sich klar von der AfD abzugrenzen. „Jetzt erwarten wir, dass Thomas Kemmerich als neu gewählter Ministerpräsident dem Land ganz klar erklärt, dass er für eine Zusammenarbeit mit der AfD nicht zur Verfügung steht.“

Das tut Kemmerich kurze Zeit später: „Die Brandmauern gegenüber den Extremen stehen“, beteuert der 54-Jährige mit der markanten Glatze. Kemmerich stellt nach seiner Wahl klar, es habe keine Absprachen mit der AfD gegeben. Dabei sagt Stephan Brandner von der AfD mit Blick auf den dritten Wahlgang: „Genauso war’s gedacht“ – und sein Parteikollege Stefan Möller freut sich über die gelungenen „Winkelzüge“. Ihrem eigenen Kandidaten hat die AfD im dritten Wahlgang keine einzige Stimme mehr gegeben.

Kemmerich hatte die FDP bei der Landtagswahl im Oktober zurück ins Parlament geführt – wenn auch mit denkbar knappem Ergebnis. Eine Zusammenarbeit mit der AfD hatte er dabei strikt ausgeschlossen. „Wer Kemmerich wählt, hat einen erbitterten Gegner von allem gewählt, was auch nur einen Hauch von Radikalismus – rechts wie links – aufweist“, stellt er auch nach seiner Wahl zum neuen Regierungschef klar. Der 54-Jährige, der vor 30 Jahren aus dem Westen nach Thüringen kam, ist seit 2015 Landeschef der Freidemokraten und steht ebenfalls an der Spitze der fünfköpfigen Landtagsfraktion. Von 2017 bis 2019 war er Mitglied im Bundestag.

Einen „deutschen Tabubruch“ nennt Bodo Ramelow gegenüber dieser Zeitung die Wahl mit Stimmen der AfD. „Eine widerliche Scharade“ habe zu dieser Wahl geführt. Zudem seien Björn Höcke und der Flügel dadurch gestärkt worden.

Nach der Wahl steht noch nicht fest, wie die künftige Regierung zusammengesetzt sein wird. Die Aufforderung Kemmerichs an SPD und Grüne wurde im Landtag lautstark zurückgewiesen. Die Groko in Berlin diskutiert die Konsequenzen am Sonnabend in einem Koalitionsausschuss..

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