Berlin/Teheran. Kameras überwachen den Kopftuchzwang. Es ist still geworden auf den iranischen Straßen. Hat das Regime den Protest der Frauen besiegt?

Auf den Straßen ist es still geworden. Seit Wochen kommen kaum noch Bilder und Videos von Demonstrationen aus dem Iran. Ist der Aufstand am Ende? Hat das Mullah-Regime über die wütenden Frauen, die sich nicht mehr bevormunden lassen wollen, gesiegt? Aida, Ingenieurin aus Teheran, die bei den Demonstrationen von Anfang an dabei war, sieht das nicht so. Besonders in Teheran sei die Atmosphäre sehr angespannt, seit die Regierung ihre Drohungen noch einmal verschärft hat. „Es ist, als warte man auf einen Funken, der alles wieder anfacht“, sagt die Frau Anfang 30.

Seit Monaten berichtet Aida unserer Redaktion darüber, was sie auf den Straßen erlebt seit dem Tod der iranischen Kurdin Jina Mahsa Amini Mitte September. Die 22-Jährige starb in Polizeigewahrsam. Sie war festgenommen worden, weil sie den Hijab – das vorgeschriebene Kopftuch – zu locker getragen hatte. Es brachen Proteste aus, immer mehr Unzufriedene – längst nicht nur Frauen – schlossen sich dem Widerstand an. Seitdem kommt das Land nicht mehr zur Ruhe.

Iran: Kameras aus China überwachen die Frauen

Doch nun haben die Mullahs aufgerüstet – technisch wie rhetorisch. Denn die vier Hinrichtungen konnten zwar vorübergehend die Protestbewegung in eine Art Schockstarre versetzen, sie aber aber nicht ersticken. Jetzt soll chinesische Technologie helfen, den Kopftuchzwang, an den sich immer weniger Frauen halten, wieder durchzusetzen: Mit Überwachungskameras made in China. Mit ihnen sollen Frauen ohne Kopftuch identifiziert werden, kündigte Polizeichef Ahmad-Reza Radan an. Ihre Bilder sollen an die Staatsanwaltschaft gehen.

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Seit acht Jahren gibt es im Iran biometrische Ausweise, die auch für die Gesichtserkennung verwendet werden können. Zunächst will die Polizei Frauen, die ihre Haare offen tragen, mit einer Textnachricht auf ihren Mobiltelefonen verwarnen. Im Wiederholungsfall kommen sie vor Gericht. Angehörigen und Freunden, bei denen sie unverhüllt mitfahren, droht angeblich die Beschlagnahmung ihres Fahrzeugs. Wer Frauen anstiftet, das Kopftuch abzulegen, soll noch härter bestraft werden. Seit Samstag läuft die Überwachung. Die Fehlerquote der CCTV-Kameras sei gleich „Null“, schwärmt Radan.

Regierung und Sicherheitskräfte wollen Kopftuchzwang durchsetzen

Die Hightech-Offensive gegen die Frauen kündigte der Polizeichef an einem besonderen Tag an – am Al-Quds-Tag. Den „Jerusalem-Tag” hatte Revolutionsführer Ayatollah Chomeini ausgerufen, um gegen Israel zu demonstrieren. Doch dieses Jahr rückte der Hass auf Israel und die Juden in den Hintergrund. In ihrer Abschlusserklärung forderten die marschierenden Anhänger des Regimes den Staat auf, härter gegen Frauen vorzugehen, die sich nicht an die Hijab-Regeln halten. Sie nannten die Verweigerung des Kopftuches ein „ominöses Geschenk des Zionismus“, für das „die Spionage-Apparate des Feindes“ werben.

Ayatollah Ali Khamenei, der oberste Führer des Landes, hat die Hijab-Verweigerung nach Scharia, aber auch politisch „haram“ - also verboten nach islamischer Lehre - genannt hat.
Ayatollah Ali Khamenei, der oberste Führer des Landes, hat die Hijab-Verweigerung nach Scharia, aber auch politisch „haram“ - also verboten nach islamischer Lehre - genannt hat. © AFP | -

Der oberste Führer Ali Khamenei hat die Hijab-Verweigerung auch politisch für „haram“ erklärt. In der Scharia bedeutet das ein Verbot, das Regierung und Sicherheitskräfte jetzt mit noch größerer Härte durchzusetzen versuchen. Doch das schreckt nicht alle ab.

Mit dem Hashtag „Die Tapferkeit vermehrt sich“ zeigen sich die Frauen

Am Samstag kam es dann erstmals seit längerem wieder zu Demonstrationen. Studentenorganisationen hatten Frauen dazu aufgerufen, ohne Kopftuch in die Universitäten zu gehen. Bilder in den sozialen Medien zeigen Proteste in der Nähe Isfahans, die von der Polizei mit Tränengas aufgelöst werden. „Ich finde es gut, dass an einem bestimmten Tag eine kollektive Hijab-Verweigerung stattfindet. Für mich ist aber seit September jeder Tag ein solcher Tag,“ sagt die Ingenieurin Aida. Sie will das Kopftuch nicht mehr tragen.

Täglich tauchen Hunderte Bilder und Videos in den sozialen Medien auf, die Frauen mit offenem Haar auf der Straße zeigen. In den meisten Fällen veröffentlichen Frauen solche Fotos von sich selbst – viele mit dem Hashtag „Die Tapferkeit vermehrt sich“. „Die demonstrative Ablehnung des Kopftuches ist zum klaren Zeichen der Ablehnung des Regimes geworden,“ sagt eine Kulturwissenschaftlerin im Iran, deren Namen die Redaktion aus Sicherheitsgründen nicht nennt.

Das Regime hat den Protest von der Straße verdrängt. Doch er ist nicht verschwunden.
Das Regime hat den Protest von der Straße verdrängt. Doch er ist nicht verschwunden. © IMAGO/ZUMA Wire | IMAGO/Social Media

Der Widerstand findet eine neue Form

Die Drohungen, die Gewalt, die massenhaften Festnahmen, die Schauprozesse mit langen Freiheits- und dutzenden Todesstrafen haben die Proteste nicht erstickt, so beobachtet das auch Azadeh Akbari von Deutschland aus. „Dass die Wut und Unzufriedenheit sich nicht mehr auf den Straßen manifestieren können, heißt längst nicht, dass die Bewegung in eine Sackgasse geraten wäre,“ sagt die Wissenschaftlerin, die in Münster und Twente zu Frauenbewegungen forscht.

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Es sei die Natur solcher Bewegungen, sich immer wieder zu wandeln. Besonders im Iran sei ein solches Auf und Ab normal, denn wegen der großen Repression seien die Demonstranten gezwungen, die Straßen zu verlassen – zumindest vorläufig, meint die Soziologin. Sie weist auf das Ausmaß der Unterdrückung hin: „Bei dieser Bewegung haben wir ein paar Vollstreckungen der Todesstrafen von unschuldigen Menschen ohne einen fairen Prozess erlebt, neben systematischer sexueller Gewalt gegen Inhaftierte, gezielte Schüsse auf die Augen, durch die zahlreiche Frauen ein oder sogar beide Augen verloren haben. Kinder wurden erschossen.“ Daher sei Widerstand auf den Straßen im Moment nicht mehr möglich, aber dafür in anderen Formen.

Nicht nur Angst und Repressionen bremsen die Opposition

Der Iran-Experte Cornelius Adebahr bestätigt das. „Tatsächlich sind die monatelangen Straßenproteste Anfang dieses Jahres abgeebbt“, sagt der Analyst von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik, der von 2011 bis 2016 in Teheran gelebt hat. Gleichwohl dauere die Revolte an, sie drücke sich im Kleinen aus - in schnell geschriebenen Graffiti, in kurzen, auf Video gebannten Protesten oder „Tod dem Diktator“-Rufen in der Nacht. „Denn für viele Menschen hat die Islamische Republik durch die brutale Niederschlagung mit über 500 Toten jegliche Legitimität verloren“. Auf den ersten Blick wirke das Regime zwar gestärkt, „weil es bislang zu keiner neuerlichen Revolution gekommen ist, doch ist ein Aufflammen der Revolte jederzeit wieder möglich“, so Adebahr.

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Nicht nur Angst und Repressionen bremsen die Opposition. Sie schwächt sich auch selbst, weil ihre Protagonisten bisher zu keiner schlagkräftigeren Allianz zusammenfanden. Die Bewegung ist zersplittert. „Mittlerweile haben sich sowohl im Inland als auch in der Diaspora einzelne Gruppen gefunden, die ihre Forderungen nach grundlegendem Wandel in Manifesten niederschreiben“, sagt Adebahr. Jedoch sei daraus noch keine einheitliche Opposition entstanden, die dem Regime (wie 1979 dem Schah) gefährlich werden könnte.

„Je wärmer es wird, desto freier werden sich die Frauen kleiden“

Auch aufseiten der Hardliner herrscht Unzufriedenheit. In sozialen Medien drohen sie damit, auf eigene Faust zu handeln, sollte der Staat, die Lage nicht wieder in den Griff bekommen. „Das nächste Aufflammen der Proteste ist sehr nahe“, meint die Wissenschaftlerin Azadeh Akbari.

Dazu könnte der Sommer beitragen. „Je wärmer es wird, desto freier werden sich die Frauen kleiden“, erwartet Aida, „und das wird den Staat und die Fanatiker noch mehr stören.“ Auch sie ist überzeugt, dass die nächste Welle von Zusammenstößen nur eine Frage der Zeit ist. „Diese Revolution hat wegen des Hijabs angefangen und ist dadurch immer mit dem Thema Hijab verknüpft,“ sagt Aida. Der Aufstand der Frauen, die sich gegen den Kopftuchzwang wehre, gehe weiter. Es ist stiller geworden, aber beruhigt hat sich gar nichts.

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