Hamburg. Ex-US-Außenminister Kissinger kritisiert in einem Interview den „höchst rücksichtslosen“ Angriffskrieg Russlands - gibt aber dem Westen auch eine Mitschuld. Schon 2014 habe er gewarnt.

Der frühere US-Außenminister Henry Kissinger sieht die Schuld am Ukraine-Krieg nicht bei Russland allein. Der Friedensnobelpreisträger von 1973 erinnerte in der Wochenzeitung „Die Zeit“ daran, dass er schon 2014 Zweifel am Vorhaben geäußert habe, „die Ukraine einzuladen, der Nato beizutreten“.

Kissinger, der an diesem Samstag 100 Jahre alt wird, fügte hinzu: „Damit begann eine Reihe von Ereignissen, die in dem Krieg kulminiert sind.“ Er sprach in dem Interview von einem „höchst rücksichtslosen“ Angriffskrieg Russlands unter Präsident Wladimir Putin. „Der Krieg selbst und die Kriegsführung sind höchst rücksichtslos, der Angriff muss zurückgeschlagen werden, und ich befürworte den Widerstand der Ukrainer und des Westens.“ Russland dürfe nicht gewinnen. Er sei aber weiterhin der Auffassung, „dass es nicht weise war, die Aufnahme aller Länder des ehemaligen Ostblocks in die Nato mit der Einladung an die Ukraine zu verbinden, ebenfalls der Nato beizutreten“.

Damals sei er der Meinung gewesen, „dass die Ukraine am besten neutral geblieben wäre, mit einem Status ähnlich wie seinerzeit Finnland“. Inzwischen spricht er sich jedoch dafür aus, dass die Ukraine nach Kriegsende ins westliche Militärbündnis kommt. „Heute bin ich absolut dafür, die Ukraine nach dem Ende des Krieges in die Nato aufzunehmen. Jetzt, da es keine neutralen Zonen mehr zwischen der Nato und Russland gibt, ist es besser für den Westen, die Ukraine in die Nato aufzunehmen.“ Auch Finnland gehört inzwischen zur Nato.

Putin und die Atomwaffe

Kissinger sagte weiter, er glaube nicht, dass Putin gegen die Ukraine Atomwaffen einsetzen werde. „Aber je mehr es um den Kern der russischen Identität geht, desto größer wird die Wahrscheinlichkeit, dass er es tut.“ Den Haftbefehl des Internationalen Strafgerichtshofs gegen den Kremlchef kritisierte er. „Putin vor Gericht? Besser nicht!“ Es werde „unmöglich, oder sehr viel schwieriger, einen Krieg zu begrenzen, wenn man den Ausgang des Krieges mit dem persönlichen Schicksal eines politischen Führers verknüpft“.

Kissinger war Außenminister der Vereinigten Staaten von 1973 bis 1977. Den Friedensnobelpreis bekam der Republikaner für seine Bemühungen um ein Ende des Vietnam-Kriegs.