Erfurt. Thüringens CDU-Landeschef Mike Mohring sieht die Gefahr eines Überbietungswettbewerbes im Landtag. Im Interview spricht er über das schwierige Verhältnis zum rot-rot-grünen Minderheitsbündnis.

CDU-Landes- und Fraktionschef Mike Mohring über das schwierige Verhältnis zum rot-rot-grünen Minderheitsbündnis und die anstehende Ministerpräsidentenwahl.

Herr Mohring, warum treten Sie nicht als Ministerpräsidentenkandidat gegen Bodo Ramelow an?

Zunächst klären wir jetzt erst einmal die Auslegung der Geschäftsordnung des Landtags, damit vor der Wahl des Ministerpräsidenten Rechtssicherheit herrscht. Dafür haben wir einen Antrag auf die Tagesordnung im Parlament gesetzt: Der Justizausschuss soll über die Auslegung der Geschäftsordnung und der bisherigen Praxis beraten. Aus unserer Sicht ist klar, dass nur Ministerpräsident werden kann, wer mehr Ja- als Nein-Stimmen auf sich vereint. Davon abgesehen ist die Aufforderung von Bodo Ramelow, dass ich gegen ihn antreten soll, völlig widersprüchlich.

Inwiefern?

Einerseits hält er uns vor, dass wir auf Stimmen der AfD spekulieren. Dennoch fordert er mich auf, zu kandidieren. Das passt nicht zusammen.

Genauso wenig passt es zusammen, dass Sie vor zehn Jahren, als die CDU-Kandidatin Christine Lieberknecht zur Wahl stand, nicht auf die Idee kamen, die Auslegung der Geschäftsordnung klären lassen zu wollen.

Das mussten wir auch nicht machen, weil Christine Lieberknecht in jedem Wahlgang mehr Ja- als Nein-Stimmen bekommen hat. Und damit kein Problem für den dritten Wahlgang bestand, bei dem die einfache Mehrheit ausreicht.

Aber doch nur in der Theorie. Wie wir beide wissen, ist Lieberknecht in den ersten beiden Wahlgängen durchgefallen, weil ihr die Koalitionäre von CDU und SPD in Teilen in der geheimen Wahl die Gefolgschaft verweigerten.

Aber im dritten Wahlgang hat Christine Lieberknecht doch sogar die absolute Mehrheit erhalten...

… ja, weil der damalige Oppositionsführer Bodo Ramelow gegen sie angetreten ist. Wohl wissend, dass er damit die Reihen für Lieberknecht schließt. Er hat also dafür gesorgt, dass sie rechtssicher ins Amt gekommen ist.

Nein, weil die FDP sich entschieden hat, Christine Lieberknecht mitzuwählen. Das war so mit dem damaligen FDP-Fraktionschef Uwe Barth abgesprochen. Der entscheidende Unterschied zur aktuellen Situation ist: Damals hatten CDU und SPD eine eigene Mehrheit. Rot-Rot-Grün hat sie nicht. Deshalb ist der Sachverhalt nicht vergleichbar.

Ohne Ramelow hätte auch Lieberknecht möglicherweise trotz bestehender Mehrheit im dritten Wahlgang mehr Nein- als Ja-Stimmen eingefahren. Dann wäre sie Ihrer heutigen Argumentation nach nicht gewählt gewesen. Es gab jedoch ein Gutachten des Landtags, das besagte, dass die „meisten Stimmen“ wie es in der Verfassung heißt, ausreichen. Damals haben Sie das nicht angezweifelt. Glauben Sie die Wähler steigen da noch durch?

Die Menschen wissen sehr wohl, dass man in diesem Land, um gewählt zu werden, die Mehrheit der Stimmen braucht. So ist das im Kirchenvorstand, im Vereinsvorstand, im Karnevalsvorstand. Und das ist auch bei den Verfassungsorganen so. Das ist die lebensnahe Betrachtung. Zwar gab es 2009 eine kursorische Prüfung, auf die Sie Bezug nehmen, aber zu einer völlig anderen Fallkonstellation. Angesichts der knappen Mehrheitsverhältnisse 2014 hat der Landtag dann nochmal genauer hingeschaut. Der wissenschaftliche Dienst hat das selbst eingehend geprüft und zudem ein Gutachten in Auftrag gegeben. Beide kommen zu dem Ergebnis, dass mehr Ja- als Nein-Stimmen erforderlich sind. Dieser Position hat sich nach unserem Kenntnisstand auch die Konferenz aller deutschen Landtagsdirektoren mehrheitlich angeschlossen.

Der ehemalige FDP-Chef Andreas Kniepert, der an der Verfassung mitgeschrieben hat, ist ebenfalls der Auffassung, dass ein Kandidat im dritten Wahlgang mehr Nein- als Ja-Stimmen haben darf. Es handele sich dabei um eine „Erziehungs- und Stabilitätsmaßnahme für den Landtag“, sagt er.

Weder der von mir sehr geschätzte Andreas Kniepert noch wir legen die Verfassung aus. Das steht nur dem Verfassungsgerichtshof zu. Um zu vermeiden, dass die Wahl hinterher vor dem Verfassungsgericht beklagt wird, wollen wir, dass der Justizausschuss des Landtags vorher die Auslegung der Geschäftsordnung klärt, in der die Formulierung der „meisten Stimmen“ auch verankert ist. Das ist gängige Parlamentspraxis.

Man kann auch sagen, das ist eine gute Taktik, weil Rot-Rot-Grün im vom AfD-Mann Stefan Möller geführten Justizausschuss keine Mehrheit hat.

Das ist keine Frage von Taktik, sondern von Vernunft. Im Übrigen hat Rot-Rot-Grün nirgendwo eine Mehrheit: Nicht im Landtag und auch in keinem Ausschuss.

Demnach fehlte Ihnen diese Vernunft vor zehn Jahren?

Die Frage der Auslegung stellte sich damals nicht. Schwarz-Rot hatte eine eigene Mehrheit.

Eine Frage der Vernunft wäre doch auch jetzt gegen Ramelow anzutreten, um für klare Verhältnisse zu sorgen. Oder etwa nicht?

Wir haben eine einstimmige Beschlusslage in unserer Fraktion, dass wir Bodo Ramelow nicht zum Ministerpräsidenten wählen. Auch wenn Ramelow mich jetzt zur Kandidatur auffordert: Wer das Risiko einer Minderheitsregierung eingeht, muss mit diesem Risiko leben.

Die AfD und möglicherweise auch die FDP werden einen Kandidaten aufstellen. Ist das nicht ein ehrlicher Weg, um zu sehen, wer die Mehrheit bekommt?

Dazu wollen wir mit unserem Antrag beitragen. Zuerst müssen diejenigen einen Kandidaten aufstellen, die eine Regierung bilden wollen. Dafür fehlt Rot-Rot-Grün die Mehrheit, für die wir bei dieser Wahl auch nicht zur Verfügung stehen. Wenn die AfD einen Kandidaten aufstellt, nimmt sie die Wahl Ramelows in Kauf.

Blicken wir in die Zukunft, wenn es eine rot-rot-grüne Minderheitsregierung geben sollte: Ihr langjähriger Mentor, Ex-Ministerpräsident Dieter Althaus, sagt, der Unvereinbarkeitsbeschluss der CDU Deutschland in Bezug auf die Linke mache angesichts der jüngeren Entwicklungen keinen Sinn mehr und solle revidiert werden.

Der Beschluss ist vor der Thüringer Landtagswahl gefasst worden. Damals war er richtig und das ist er im Grunde auch heute. Dennoch hat sich die Lage verändert. Wir haben in Thüringen eine zeitlich begrenzte Sondersituation. Ich bin der festen Überzeugung, eine klare Haltung und Gesprächsfähigkeit schließen sich nicht aus.

Althaus sagt auch: Fast 30 Jahre nach der friedlichen Revolution sei die Linkspartei nicht mehr die SED und stehe als Gesamtpartei auf dem Boden des Grundgesetzes. Richtig?

Deshalb hat Dieter Althaus die Idee einer Projektregierung ins Spiel gebracht. Darüber haben wir auch bei unserer Klausur in Bad Blankenburg beraten. Im Ergebnis haben wir Themenfelder eruiert, bei denen die Bürger von der Politik erwarten, dass es zu Lösungen kommt. Das geht nicht in Fundamentalopposition. Ich sehe aber, dass Bodo Ramelow außerhalb der Gespräche, die er mit mir geführt hat, in seiner Partei jenseits von Rot-Rot-Grün keine Mehrheit hat.

Sie haben sich auf Einladung von Alt-Bundespräsident Joachim Gauck mit Bodo Ramelow in Erfurt getroffen. Gauck hat zuvor im ZDF gesagt, es seien Mehrheiten vorhanden in Thüringen, die die Wählerschaft geschaffen hat. Und die CDU müsse die Frage beantworten, ob sie jetzt als Block dastehen und zuschauen wolle.

Auch das teile ich. Aber der Ball liegt nicht mehr in unserem Feld.

Aber für eine Expertenregierung, die ja ähnlich einer Projektregierung ist, haben Sie bei Ihrer Klausur doch auch keine Mehrheit bekommen.

Es gab weder eine Abstimmung darüber noch einen konkreten Vorschlag. Zu einer ausgewogenen Debatte gehört es, alle Optionen auf den Tisch zu legen. Aus der Breite der Diskussion entsteht dann im Idealfall, wie jetzt bei unserer Klausur, eine einstimmige Entscheidung. So stellen wir uns die Arbeit in der Fraktion vor. Es gibt nicht einen, der seine Vorstellungen durchdrückt.

Also nicht wie Sie es in der Vergangenheit praktiziert haben.

Wenn wir daraus lernen können, wie wir es besser machen, und da gehöre ich dazu, dann ist das doch richtig. Die Fähigkeit, diesen Prozess zu gestalten, müssen natürlich alle lernen.

Sie wollen eigentlich Rot-Rot-Grün ablösen, eine solche Regierung nicht tolerieren, aber trotzdem mit ihr zusammenarbeiten. Klingt paradox.

Warum? Das Parlament ist nach dieser Wahl gestärkt. Wir wollen in den Ausschüssen des Landtags nach Mehrheiten suchen und nicht in vorgelagerten Gremien außerhalb des Parlaments. Jede Fraktion kann etwas vorschlagen. Am Ende muss im Parlament der Wille stehen, sich zu einigen, und nicht die Blockade.

Wird das nicht zu langwierigen Debatten führen und Entscheidungswege im Zweifel unendlich verlängern? In Koalitionen bespricht man sich auch vorher, um keine Zeit mit Dingen zu vergeuden, die nicht durchsetzbar sind.

Ich sehe eher die Gefahr eines Überbietungswettbewerbes. Nehmen sie den Meisterbonus und die Meistergründungsprämie, die wir jetzt im Landtag beantragt haben. Wir schlagen mindestens 7500 Euro und 2000 Euro als Meisterbonus vor. Jetzt kommt die Linke und will 10.000 Euro Gründungsprämie. Die SPD ist schon bei 15.000 Euro. Der Meisterbonus wird von Rot-Rot-Grün aber totgeschwiegen. Fest steht: Eine Minderheitsregierung wird eine teure Angelegenheit.

Das gilt auch für die Kommunalfinanzen.

Stimmt. Wir schlagen vor, den Überschuss von 2019 in Höhe von 168 Millionen Euro als Investitionszuschuss zu verwenden. Die SPD schlägt weitere 500 Millionen für die nächsten fünf Jahre vor, knüpft diese aber an Bedingungen.

Seit Jahren soll der Kommunale Finanzausgleich grundlegend reformiert werden. Wäre jetzt nicht der richtige Zeitpunkt?

Unser Wahlversprechen, das ich dem Landkreistag nochmals wiederholt habe, ist eine grundlegende KFA-Reform. Dazu gehört, dass wir die Kürzung der Hauptansatzstaffel für die kleinen Gemeinden rückgängig machen und die kreisfreien Städte besser ausstatten werden.

Hinzu kommt, die Aufgaben vom Land an die Kommunen ausreichend zu finanzieren.

Richtig, und auch das kostet noch einmal Geld. Da hat Rot-Rot-Grün Fehler gemacht, aber wir in der Vergangenheit auch. Aber jetzt haben wir die Möglichkeit, diese Fehler zu beseitigen und kommunale Selbstverwaltung wirklich finanziell abzusichern. Für die Kommunen und viele andere auch werden beste Zeiten anbrechen.

Bei der Bekämpfung des Unterrichtsausfalls, mehr Polizisten, Stärkung des Ehrenamts kann man also demnächst mit von einer breiten Mehrheit getragenen Entscheidungen rechnen?

Das sind Themen, die in fast allen Wahlprogrammen stehen und die keine politischen Richtungsentscheidungen darstellen. Wir als CDU werden alles dafür tun, in diesen Bereichen Stillstand zu vermeiden.

Wird es am Ende so laufen: Damit sich niemand benachteiligt fühlt, darf jeder mal ein Projekt durch den Landtag bringen?

Ich möchte keine politischen Kuhhandel. Die guten Ideen müssen zu Mehrheiten kommen. Für die Ideologieprojekte von Rot-Rot-Grün gibt es im Landtag keine Mehrheiten mehr.

Ihre guten Ideen können Sie auch ohne Rot-Rot-Grün durchsetzen: mit FDP und AfD. Wäre die Zustimmung der AfD, mit der sie eine Zusammenarbeit oder Koalition ausschließen, ein Problem für Sie?

Auf der einen Seite hat uns SPD-Chef Wolfgang Tiefensee aufgefordert, unsere Anträge zurückziehen, wenn die AfD Zustimmung signalisiert. Aber dann würde die AfD die politische Agenda bestimmen. Das kann nicht gewollt sein und wird es mit uns nicht geben. Auf der anderen Seite findet es der Linke-Staatskanzleichef Benjamin Hoff in Ordnung, dass bei einem „guten Gesetz“ von Rot-Rot-Grün die AfD mitstimmt, auch wenn CDU und FDP dies ablehnen. Diese rot-rote Doppelzüngigkeit ist entlarvend.

Sie halten es diesbezüglich mit Hoff?

Ich bin der Ansicht, dass CDU und FDP gute Gesetze und Anträge vorlegen werden.

Werden Sie dem neuen AfD-Kandidaten Michael Kaufmann zustimmen, den seine Fraktion für den dritten Anlauf bei der Wahl zum Landtagsvizepräsidenten vorgeschlagen hat?

Herr Kaufmann hat angeboten, sich in unserer Fraktion vorzustellen. Da wir ihn nicht kennen, werden wir das Angebot annehmen. Die Personalie des AfD-Abgeordneten Stephan Brandner im Bundestag hat gezeigt, dass man diese Wahlen auch „auf Bewährung“ durchführen kann. Wir gewähren einen Vertrauensvorschuss, und wenn sich ein Parlamentarier seines Amtes als unwürdig erweist, wird er wieder abgewählt. So könnten wir es auch im Thüringer Landtag handhaben. Damit würde die Blockade nach den gescheiterten ersten beiden Wahlgängen aufgelöst.

Haben Sie in den vergangenen Wochen und Monaten nach dem Wahldebakel und allen Streitigkeiten und Diskussionen jemals darüber nachgedacht zurückzutreten?

Nein. Wir haben jetzt gemeinsam einen guten Weg gefunden.

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