Erfurt. Die Erfurterin Angelika Reiser-Fischer teilt ihre Erinnerungen an den Erfurter Gesangspädagogen. Wie seine Karriere begann und er dem Mädchenchor zu Erfolgen verhalf.

Was haben wir gekichert! Da war doch tatsächlich diese Textzeile in Franz Schuberts „Ständchen“ zu singen: „Sucht ein Weiser nah und ferne Menschen einst mit der Laterne.“ Wir stellten es uns vor! Wie konnte einem nur so etwas einfallen!

Gesangspädagoge brachte jungen Erfurterinnen Dichtung und Geschichte näher

Wir waren 16, 17, vielleicht 18 Jahre. Pubertierende Mädchen. Und wussten nichts von diesem Diogenes von Sinope, über den der Dichter Franz Grillparzer im Text vom Schuberts „Ständchen“ schrieb. Diogenes, der den wahren Menschen suchte. Mit Laterne in Athen. Aber wir hatten einen Lehrer, der etwas wusste. Über die Antike - und über Musik und das Singen. Damals, im Mädchenkammerchor der Musikschule Erfurt: den Gesangspädagogen Helmut Hansmann. Am 21. April 2024 ist sein 100. Geburtstag.

Er stammte aus einer bedeutenden Erfurter Musikerfamilie. Sein Vater Prof. Walter Hansmann hatte 1911 das Thüringer Landeskonservatorium am Anger 56 mitgegründet, war selbst ein berühmter Violinpädagoge, der das Musikleben Erfurts stark prägte. Sohn Helmut sang zunächst bei den damals noch in Erfurt ansässigen Thüringer Sängerknaben und begann eine Buchhändlerlehre. Dann musste er 1942 in den Krieg – nach Russland und Frankreich, wo er schwer verwundet wurde. Eine traumatische Erfahrung.

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Hansmann sang in Rundfunkchören und auf Bühnen in ganz Thüringen

Als er nach dem Krieg in Erfurt ein Musikstudium aufnahm, begegnete er dabei dem Ehepaar Paul Lohmann und Franziska Martienssen-Lohmann. Beide waren renommierte Sänger und Gesangspädagogen und versuchten, der damaligen Sängerausbildung in Deutschland und Skandinavien neue Impulse zu geben. Ihre Standardwerke gelten bis heute, und ihre modernen Ideen davon, wie junge Leute singen sollten, beeinflussten Helmut Hansmann stark. Zwei Jahre sang er nach dem Studienabschluss in den Rundfunkchören Leipzig und Berlin und ging danach als Bass-Buffo an die Bühnen in Meiningen und Eisenach. 1966 gab es ein Angebot aus Erfurt, als Gesangspädagoge an die Musikschule zu kommen. Er mag damals schon gespürt haben, dass darin auch sein größtes Talent lag - junge Leute zum Singen zu ermuntern und sie dabei anzuleiten.

Tochter des Chorleiters ist heute Profi-Sängerin am DNT Weimar

Verbunden war mit diesem Lehrauftrag auch die Aufgabe, an der Musikschule einen Chor zu gründen. Da es damals schon mehr Mädchen als Jungen gab, die gern singen, wurde also ein Mädchenchor gegründet – 1972 schlug die Geburtsstunde des Mädchenkammerchores Erfurt. Alle Sängerinnen zwischen 14 und 25 Jahren erhielten Gesangsunterricht und eine solide musikalische Ausbildung. Der zunächst mit 20 Mädchen gegründete Chor wuchs bald auf 40 Sängerinnen an. Helmut Hansmann unterrichtete nicht nur mit viel Begeisterung, er hatte auch sehr genaue Vorstellungen eines idealen Chorklanges: Leicht und klar sollte es klingen, mit einem schwebenden Sopran, genauer Intonation und bestem Textverständnis. „Es ging aber nicht ums kleinkarierte Tüfteln“, sagte seine Tochter Christine Hansmann-Retzlaff, die selbst jahrelang im Mädchenkammerchor sang und später Profi-Sängerin am DNT in Weimar wurde. „Das musikalische Tun sollte jede von uns als großen Bogen empfinden, der Chor sollte genauer und durchgeformter als die einzelne Stimme klingen.“

Erfurter Chor war weit über die Grenzen der Stadt hinaus bekannt

Schon bald kamen die Erfolge. Gleich bei der ersten Teilnahme an einem Wettbewerb, damals in Eisenach, erhielt der Chor den Preis für die beste Interpretation eines deutschen Volksliedes - „Drei Laub auf einer Linden“. Viele weitere Ausscheide und Wettbewerbe folgten, später auch Auslandsreisen nach Litauen, in die Slowakei, nach Finnland.

20 Jahre bestand der weit über Erfurts Grenzen hinaus bekannte und geschätzte Mädchenchor. Anfang der 1990er Jahre ging Helmut Hansmann in Rente, bald darauf wurde der Chor aufgelöst. Das traf ihn tief. Nicht wenige seiner einstigen Schüler indes studierten Musik und wurden Profis. Namen wie Annette Markert (Alt), Annekathrin Laabs (Mezzosopran), Bettina Denner (Mezzosopran), Gerald Hupach (Tenor) oder Tomas Möwes (Bariton) gelten bis heute als Beispiele für herausragende Sängerkarrieren an deutschen Opernhäusern und in Konzertsälen. 2002 starb Helmut Hansmann.

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Neuer Chor ehemaliger Sängerinnen

Ehemalige Sängerinnen des Mädchenchores taten sich 2006 zusammen und gründeten einen neuen Chor – den Frauenkammerchor Mechoria - und fanden in Andreas Korn einen Leiter, der das begeisterte Singen mit ihnen fortsetzte. Die Erinnerungen der Frauen an ihren Chorleiter und Gesangslehrer Helmut Hansmann sind bis heute nicht verblasst. Erinnerungen an seine fachlichen Ratschläge zum Singen, aber auch an seine Liebe zur Musik, seine Großherzigkeit, Begeisterungsfähigkeit und Menschlichkeit blieben. „Wieviel selt’ner denn als Gold Menschen uns geneigt und hold“, heißt es am Schluss jenes Grillparzer-Gedichtes, das Franz Schubert als „Ständchen“ vertonte. Ein Gedanke, den sie heute sehr gut verstehen können.

Zum 100.Geburtstag des Sängers und Gesangspädagogen Helmut Hansmann geben zu seinem Andenken ehemalige Schüler, Angehörige, Kollegen und der von einstigen Schülern gegründete Frauenkammerchor Mechoria unter der Leitung von Andreas Korn ein Konzert, und zwar am 21. April um 17 Uhr in der Schildgasse 6. Der Eintritt ist frei, es wird um eine Spende für die Unkosten gebeten.

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