Erfurt. „Eine Straßenbahnfahrt - welch ein Ereignis!“ In einem Fotoalbum hat Margot Steinbrück Szenen aus dem Molsdorfer Kinderheimalltag festgehalten.

Es ist der Winter des Jahres 1953. Faschingszeit. Ein Fest wird im Schloss Molsdorf gefeiert. Die Erzieherinnen haben sich lustige Hütchen aufgesetzt, die Kinder tragen Kostüme. Eine Prinzessin womöglich, ein Harlekin und eine Tamburin-Spielerin haben einzeln Aufstellung für die Fotografin genommen.

Margot Steinbrück in den 50er-Jahren.
Margot Steinbrück in den 50er-Jahren. © Sammlung M. Steinbrück

Als Betrachter muss man unwillkürlich die Augen zusammenkneifen, um die Motive auf den kleinen Schwarz-Weiß-Fotos mit den gezackten Rändern genauer erkennen zu können. Die Faschingsbilder sind einige von vielen Aufnahmen, die sich in einem braunen Album mit einem geflochtenen Bast-Einband finden. Margot Steinbrück, sie ist inzwischen Ende 80 und lebt in Erfurt, hat es in den 50er-Jahren angelegt, als sie nach Molsdorf kam. Zunächst sei sie mit der Geschäftsführung des Heims betraut gewesen, dann habe sie gefragt, ob sie als Erzieherin im Schloss arbeiten könne, erzählt Silke Opitz, Kuratorin an den Erfurter Kunstmuseen. Margot Steinbrück durfte und sie blieb, bis das Molsdorfer Kinderheim aufgelöst wurde und zog mit nach Erfurt um.

Auch andere haben die Kinder und Erzieherinnen fotografiert, aber offenbar niemand hat das über die Jahre hinweg so kontinuierlich getan wie Margot Steinbrück. Man könnte sagen, ihr Album ist das Bildgedächtnis des Kinderheims „Rosa Luxemburg“ im Molsdorfer Schloss. Auf 37 Seiten entfalten sich Szenen des Lebens im Heim: Weihnachtsfeiern und Osterfeste. Besondere Ereignisse waren offenbar die Kindertage und die Faschingsfeiern, für die fantasievolle Kostüme in der Nähstube entstanden oder aufwendige Masken gebastelt wurden. Oder die Kinderheim-Bewohner ließen sich auf einem Lkw-Hänger nieder und Margot Steinbrück schrieb prägnant neben die Fotos: „1. Mai - die LPG fährt uns durchs Dorf.“ Ausflüge gingen nach Oberhof und Paulinzella. Oder auch ins nahe gelegene Erfurt mit einer Extra-Fahrt. „Eine Straßenbahn - welch ein Ereignis!“, vermerkt die Erzieherin daneben.

Auch das Traurige hat darin seinen Platz: Wenn die Mädchen und Jungen ins Schulalter kamen, mussten sie Molsdorf verlassen. Auf einer der letzten Seiten ist zu lesen: „Jetzt heißt es Abschied nehmen. Fahrt zum Schulheim in Eisenach.“

Silke Opitz sagt: „Das Album ist ein Goldschatz.“ Nun soll all das auch für die Öffentlichkeit nachvollziehbar sein. In einem wunderschön gestalteten Begleitbuch zur „Schlosskinder“-Ausstellung wird das Album als eine Art Reprint veröffentlicht.

Mit Bildern ein Stück verlorene Vergangenheit zurückholen

Dieser Entschluss geht über ein bloßes Dokumentieren der Schlossgeschichte weit hinaus, denn er ist der Überlegung verbunden, dass mit mithilfe dieser Bilder noch andere Heimkinder von damals vielleicht ein Stück ihrer verlorenen Vergangenheit zurückholen können. Deshalb werde das Buch an die Kinder und Erzieherinnen von damals kostenlos abgegeben.

Da Details auf den Aufnahmen nur mühsam zu erkennen sind, hat Silke Opitz das Album digitalisieren lassen. So sind nun die Seiten in einem hochauflösenden Format im Erfurter Stadtarchiv einzusehen. „Wer sich finden will, kann sich finden“, sagt sie.

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