Weimar/Köln. Das Institut der deutschen Wirtschaft mahnt eine differenzierte Betrachtung der deutschen Raumordnungsregionen an.

Ost-, Süd- und Nordthüringen gehören nach Ansicht des Kölner Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) zu den 19 von insgesamt 96 Regionen in der Bundesrepublik, in denen akuter Handlungsbedarf für die Politik besteht, damit diese Gebiete nicht den Anschluss verlieren.

Einer Studie zufolge, für die das IW die 96 Raumordnungsregionen Deutschlands in den Bereichen Wirtschaft, Demografie und Infrastruktur bewertete, haben Ost- und Südthüringen vor allem ein Demografie-Problem: Das Durchschnittsalter der Bevölkerung sei hoch und in den vergangenen Jahren auch noch überproportional gestiegen. Mit Ausnahme von Mittelthüringen stuften die Autoren ganz Thüringen hinsichtlich seiner demografischen Entwicklung als „gefährdet“ ein.

Ost-, Süd- und Nordthüringen gehören nach Ansicht des Kölner Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) zu den 19 von insgesamt 96 Regionen in der Bundesrepublik, in denen akuter Handlungsbedarf für die Politik besteht, damit diese Gebiete nicht den Anschluss verlieren.
Ost-, Süd- und Nordthüringen gehören nach Ansicht des Kölner Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) zu den 19 von insgesamt 96 Regionen in der Bundesrepublik, in denen akuter Handlungsbedarf für die Politik besteht, damit diese Gebiete nicht den Anschluss verlieren. © Regionenstudie, IW Köln

Das Problem der Alterung und Schrumpfung macht die Studie unter anderem daran fest, dass bis auf Jena, Weimar und Erfurt überall auf 100 Beschäftigte im Schnitt weniger als fünf Auszubildende kommen. Auch der Wohnungsleerstand sei mit Ausnahme der großen Städte in der Mitte des Freistaats mit einer Quote von 7,5 bis 10, teils aber auch von mindestens 10 Prozent (2016) sehr hoch. Besonders betroffen seien dabei wiederum Teile Ost- und Nordthüringens.

Positiv merkt die Studie indes die digitale Infrastruktur in Teilen Thüringens an: Jena, Gera, Weimar und Erfurt gehören demnach zu den ostdeutschen Städten, in denen bereits für mehr als 80 Prozent, teils auch für mehr als 90 Prozent der Haushalte ein schneller Internetzugang verfügbar ist. Der ländliche Raum sei dagegen noch nicht gut angebunden.

Bedarf an Fachkräften in Thüringen in den kommenden zehn Jahren sehr hoch

Insgesamt gelten Ost- und Mittelthüringen im Bereich Infrastruktur, für den neben der Breitbandversorgung auch die Ärztedichte, kommunale Schulden sowie die Immobilienpreise Indikatoren waren, als „nicht gefährdet“. Vergleichsweise gut steht Thüringen auch bei den Kommunalfinanzen da, denn Kassenkredite – also die Kreditaufnahme im kommunalen Verwaltungshaushalt – spielen im Freistaat „kaum eine Rolle“.

Der IW-Studie zufolge ist in Thüringen bereits jeder fünfte sozialversicherungspflichtige Beschäftigte im Bereich Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik älter als 55 Jahre, während beispielsweise in Bayern der Anteil dieser Altersgruppe in den MINT-Berufen nur bei 16,5 Prozent liegt. Der Bedarf an Fachkräften sei daher in Thüringen in den kommenden zehn Jahren sehr hoch. Erschwerend komme hinzu, dass der Anteil der ausländischen Beschäftigten in diesem Bereich derzeit besonders niedrig sei, das Problem also auch nicht durch Zuwanderung von Fachkräften gelöst werde.

Zu den zwölf Indikatoren, anhand derer die Regionen bewertet wurden, zählten unter anderem Arbeitslosenquote, Kaufkraft und Durchschnittsalter. Untersucht wurde – je nach Datenverfügbarkeit – der Zeitraum von 2011 bis 2015, 2016 oder 2017. Eine bei allen Indikatoren gefährdete und in diesem Sinne abgehängte Region gibt es der Studie zufolge in Deutschland nicht.

Ziel der Untersuchung

Als Ziel der Untersuchung bezeichnen es die Autoren, die Diskussion zu versachlichen und zu zeigen, dass es nicht „das“ Stadt-Land-Gefälle in Deutschland gibt und nicht aufblühende Metropolregionen hier und abgehängte Provinz dort. Vielmehr gebe es Metropolen mit markanten und unbewältigten Strukturproblemen, peripher gelegene ländliche Räume, die akut mit Abwanderung, Leerstand und großen Defiziten in der öffentlichen Daseinsvorsorge zu kämpfen haben, aber gleichzeitig auch kerngesunde Mittelstädte mit einer wettbewerbsfähigen Wirtschaftsstruktur und erfolgreichen Mittelständlern. Das IW mahnt daher eine differenzierte Betrachtung an und weist zudem darauf hin, dass es auch keine schablonenhaften Patentrezepte zur Behebung der Probleme gebe. „Statt mit einer simplen Divergenzproblematik haben wir es mit einer differenzierten Situation zu tun, wo viele separate Probleme gleichzeitig auftreten“, heißt es. Die Politik müsse stattdessen Antworten auf die Probleme jeder einzelnen Region finden.

In der Summe aller zwölf Indikatoren sind für die Autoren die Altmark und die Region Anhalt-Bitterfeld-Wittenberg die gefährdetsten Regionen in Deutschland. Dahinter folgen Emscher-Lippe und Duisburg/Essen. Elf der 19 gefährdeten Regionen befinden sich in den neuen Bundesländern, vier in Nordrhein-Westfalen entlang der Ruhr.

Im Gegensatz zu den Ruhr-Regionen ist Thüringen der Studie zufolge aber nicht im Hinblick auf seine wirtschaftliche Entwicklung gefährdet.