Berlin. Der Industrie geht die Energiewende nicht schnell genug, die Gasbranche macht Druck. Wasserstoff und Wärmepumpen sollen Tempo bringen.

Müssen Deutschlands Haushalte jetzt ihre Heizungen tauschen? Sind Elektro-Autos bald Pflicht? Die Bundesregierung hat sich zum Ziel gesetzt, Deutschland bis 2045 auf den Weg in die Klimaneutralität zu bringen. Bis 2030 soll der Kohlendioxid-Ausstoß um 65 Prozent reduziert werden. Doch nicht nur Privathaushalte, auch die Industrie muss dabei einen wesentlichen Beitrag leisten.

Die Energiewirtschaft will diesen Weg mittragen. Denn ein Großteil des Kohlendioxids (CO2) stammt heute aus Kraftwerken und aus der Industrie, wo vor allem Kohle und Gas verfeuert werden.

Industrie setzt bisher fast ausschließlich fossiles Erdgas

Die Nutzung von fossilem Erdgas soll zukünftig jedoch bedeutungslos werden. "Neue Gase, also erneuerbare und dekarbonisierte Gase, wie Biogas, Wasserstoff und seine Derivate, werden uns auf dem Weg zur Klimaneutralität helfen und die Abhängigkeit von fossilen Energieimporten verringern", beschreibt Kirsten Westphal, Mitglied der Geschäftsführung des Energiewirtschaftsverbands BDEW, das Ziel, das sich die Branche mit ihren 1900 Mitgliedsfirmen auf dem Pfad zur Klimaneutralität gesetzt hat.

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Derzeit wird in der Industrie fast ausschließlich fossiles Erdgas genutzt. 2022 verbrauchte sie 35 Prozent der rund 866 Terawattstunden, die bundesweit genutzt wurden. Für Strom- und Fernwärme wurden 26 Prozent eingesetzt. Die Industrie verwendet wiederum drei Fünftel ihres Gases für Prozesswärme. Denn nur mit Gas sind die hohen Temperaturen möglich, bei denen sich etwa Stahl oder Glas verarbeiten lässt.

Wasserstoff-Kapazität soll ausgebaut werden

Als Ersatz fürs Gas setzt die Industrie künftig vor allem auf Wasserstoff, der per Elektrolyse mit Solar- und Windstrom erzeugt wird, sowie auf Biomethan. Wasserstoff verbrennt zu Wasser, ist also klimaneutral. Bisher allerdings ist die Menge des Gases, die zur Verfügung steht, verschwindend gering.

Losgehen soll es ab 2025. Der nationale Aufbauplan für Wasserstoff sieht eine Elektrolysekapazität in Deutschland von 30 Gigawatt im Jahr 2030 vor. "Wir sollten diesen Aufbauplan beschleunigen", sagt Timm Kehler, Geschäftsführer des Verbands Zukunft Gas. "Und wir sollten uns höhere Ziele setzen."

Deutschland wird auf Import von Wasserstoff angewiesen sein

Aber selbst wenn Deutschland mehr Wasserstoff herstellen könnte, wird dies wohl nicht reichen. Die Bundesrepublik wird auf Importe angewiesen sein. Erste Pläne, grünen Wasserstoff aus Australien, Kanada, Namibia und Norwegen einzuführen, gibt es bereits. Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate planen ebenfalls die Produktion mit Wüstenstrom. 2030 und 2045 werde genug Wasserstoff vorhanden und auch bezahlbar sein, sagt Gerald Linke vom Deutschen Verein des Gas- und Wasserfaches (DGWV).

In Deutschland landet das Gas dann zum Beispiel in Wilhelmshaven an und muss danach per Pipeline transportiert werden. Hierfür will die Branche das bestehende Erdgasnetz nutzen. "Die Leitungen können bereits jetzt Wasserstoff transportieren", sagt Linke. Allerdings müssten einzelne Elemente getauscht werden.

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Um- und Ausbau wird Milliarden kosten

Für das rund 550.000 Kilometer lange Verteilnetz, das das Gas bis in Wohnungen und zu Betrieben bringt, rechnet Linke mit Kosten von rund sieben Milliarden Euro. Für die 46.000 Kilometer Hochdruckleitung, durch die das Gas durch die Republik transportiert wird, geht Linke "konservativ gerechnet" von rund 45 Milliarden Euro für den Umbau aus.

Zusätzlich sollen rund 8000 Kilometer neue Leitungen gebaut werden, um das bestehende Netz zu ergänzen. Kostenpunkt: weitere acht Milliarden Euro. Die Branche sieht sich gut vorbereitet, die Umstellung von Erdgas auf Wasserstoff soll 2026 beginnen.

Blick in die Wasserstoffherstellung: Hier wird bei Air Liquide grüner Wasserstoff hergestellt.
Blick in die Wasserstoffherstellung: Hier wird bei Air Liquide grüner Wasserstoff hergestellt. © dpa | Rolf Vennenbernd

Wasserstoff: Verbänden fehlen politische Entscheidungen

Auch die Industrie bereitet sich vor. ThyssenKrupp etwa will das größte Stahlwerk Europas in Duisburg umrüsten. Es gibt zahlreiche weitere Projekte – gestartet wurde bisher jedoch kaum etwas. Die Wasserstoffbilanz des Energiewissenschaftlichen Instituts der Universität Köln für den Energiekonzern Eon kommt bisher zu dem Schluss: Deutschland ist nicht bereit für Wasserstoff. "Die Gaswirtschaft kann und will, aber darf sie auch?", fragt Linke kritisch. Den Verbänden fehlen politische Entscheidungen. Denn solange nicht klar sei, ob sich Investitionen lohnen, bleibe es meist bei Plänen.

So gehe auch das geplante Gebäudeenergiegesetz für Heizungen zwar in die richtige Richtung, sei aber handwerklich schlecht gemacht, urteilen die Verbandsvertreter. Beispielsweise sei die Fernwärme in den Städten und Gemeinden nicht berücksichtigt worden.

Von einer Wasserstoffheizung raten die Experten allerdings eher ab. "Die Wärmepumpe ist die effizienteste Lösung, die sich auch durchsetzen wird", sagte Kehler von Zukunft Gas. Und die wiederum braucht Strom. "Wir müssen Strom, Wärme und Gas zusammenplanen", sagte er. "Und das muss mit Deutschlandgeschwindigkeit passieren."

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