Berlin. Nach unterbrochenen Tarifverhandlungen: Gewerkschaft droht mit neuem Warnstreik nächste Woche. Keine Lösung des Konfliktes in Sicht.

Bei der Deutschen Bahn droht in der kommenden Woche ein weiterer Ausstand. „Natürlich müssen wir jetzt den nächsten Warnstreik ins Visier nehmen“, sagt Cosima Ingenschay, eine der beiden Verhandlungsführer der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) in den aktuellen Tarifverhandlungen mit rund 50 Bahnunternehmen. Zuvor hatte die Deutsche Bahn (DB) als größtes Branchenunternehmen die gerade erst in Gang gekommenen Gespräche wieder abgebrochen. „Das ist im Moment sinnlos, weil die EVG sich keinen Millimeter bewegt“, erteilt Personalvorstand Martin Seiler weiteren Verhandlungen eine Absage.

Wann genau die Züge wieder einmal stehen bleiben, ist noch offen. Klar ist nur, dass es von diesem Freitag bis zum Sonntag keinen Ausstand geben wird. Denn am Samstag jährt sich das Zugunglück von Eschede mit vielen Toten. Der Gedenktag plus An- und Abreisetag zum Ort des Geschehens sollen nicht von einem Arbeitskampf gestört werden.

Neue Streiks drohen – Gewerkschaft und DB werden sich nicht einig im Streit

Beide Seiten werfen sich gegenseitig die Schuld an der verfahrenen Lage im Tarifkonflikt zu. In der vergangenen Woche hatte die DB der Gewerkschaft ein neues Angebot unterbreitet. Es sieht unter anderem eine prozentuale Lohnsteigerung von zwölf Prozent in den unteren, zehn Prozent in den mittleren und acht Prozent in den oberen Gehaltsstufen vor. Zudem soll es einen Inflationsausgleich geben. „Die EVG hat es rundum pauschal abgelehnt“, erläutert Seiler. Dabei wäre damit der höchste Tarifabschluss in der Bahngeschichte verbunden. Die EVG erzählt die Geschichte anders. „Die Mär, dass wir nicht kompromissbereit sind, ist falsch“, versichert Verhandlungsführer Kristan Loroch. Der Arbeitgeber verfahre nach dem Motto: „friss oder streik!“.

DB und die Gewerkschaft EVG können sich in den Tarifverhandlungen nicht einigen. Es drohen neue Streiks.
DB und die Gewerkschaft EVG können sich in den Tarifverhandlungen nicht einigen. Es drohen neue Streiks. © dpa | Martin Schutt

Es sind vor allem zwei Punkte, an denen die Vorstellungen von Arbeitgebern und Gewerkschaft noch recht weit auseinanderliegen. Der wichtigste Punkt ist der von der EVG geförderte Mindestbetrag. So soll jeder der 180.000 Tarifbeschäftigten der Bahn wenigstens 650 Euro mehr Lohn im Monat erhalten. Das aktuelle Angebot der DB sieht keinen Mindestbetrag vor. Allerdings signalisiert das Unternehmen die Bereitschaft, auch über einen Sockelbetrag bei den Lohnsteigerungen zu reden. Der zweite Streitpunkt ist die Laufzeit von 24 Monaten, die das Angebot vorsieht. Die EVG will eine kürzere Laufzeit durchsetzen. Darüber hinaus gibt es unterschiedliche Auffassungen über weitere Bestandteile des Tarifvertrags, die strukturelle Fragen betreffen, etwa zu Arbeitszeiten bei den Güterbahnen.

Forderungen könnten für die Bahn sehr teuer werden

Für die Bahn wird der Abschluss absehbar sehr teuer. Auf 1,4 Milliarden Euro Mehrkosten pro Jahr schätzen die Arbeitgeber das Gesamtvolumen ihres Angebots. Die Größenordnung wird von der EVG nicht angezweifelt. „Die Kolleginnen und Kollegen haben das in der Corona-Zeit längst bezahlt“, kontert Loroch Vorwürfen, die Bahn könnte damit überfordert werden. Während der Pandemie hatte sich die Gewerkschaft mit nur geringen Lohnzuwächsen zufrieden gegeben. Im Gegenzug hat der Staat die Bahn mit viel Geld unterstützt.

Die neuerliche Eskalation könnte auch mit dem Konkurrenzkampf der EVG mit der Lokführergewerkschaft GDL zusammen hängen. Diese will am kommenden Montag ihre Forderungen für die im Herbst anstehende Tarifrunde vorstellen. Beide Gewerkschaften buhlen um Mitglieder. Die GDL wirft der EVG vor, „Einkommensvernichter“ zu sein, weil deren Abschlüsse in den vergangenen Jahrzehnten wenig spektakulär waren. Die GDL selbst zeigte sich dagegen des Öfteren kampfstark und setzte unter anderem einen eigenständigen Tarifvertrag für die Lokführer durch. Nun will sie auch in den anderen Berufsgruppen der Bahn Fuß fassen und der EVG dafür Mitglieder abwerben. Ein hoher Tarifabschluss könnte dazu beitragen, dies zu verhindern.

Wie es weiter geht, ist derzeit völlig offen. Noch hat keine der beiden Seiten die Verhandlungen für gescheitert erklärt. Das wäre die Voraussetzung für eine Urabstimmung der EVG-Mitglieder über einen unbefristeten Streik. Wie wirkungsvoll die Gewerkschaft im Arbeitskampf ist, hat der erste Warnstreik im Frühjahr gezeigt. Da lief nichts mehr auf den Gleisen.