Erfurt. Eine aktuelle Ausstellung zeigt in Erfurt die menschliche Seite des einst in Weimar ausgebildeten Stars.

Dieses Foto ist weltbekannt: Marlene Dietrich spielt lasziv vor und mit der Kamera. Die Wimpern lang und tiefschwarz geschminkt, die Augen halb geschlossen. Die Haare breit aufgefächert, die linke Hand ans Kinn gelegt, die Fingernägel lackiert. Es ist eines dieser Fotos, das mit dem Ruf „der Dietrich“ arbeitet und ihn gleichsam verstärkt: Marlene als Sexsymbol. 1937 ist dieses Foto entstanden, in Hollywood.

Doch da ist noch viel mehr zu sehen in dieser kleinen Ausstellung seit ein paar Tagen im Erinnerungsort Topf & Söhne in Erfurt. Unter anderem ein Schwarz-Weiß-Film, in dem die Dietrich fast schon schüchtern wirkt. Oder vielleicht eingeschüchtert im Angesicht des Grauens? Die teilweise verwackelten Aufnahmen aus dem Jahr 1960 zeigen, wie sie die Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem in Israel besucht. Ihre Haare hat die Dietrich unter einem weißen Kopftuch verborgen, die Hände in weiße Handschuhe gehüllt. Nur kurz sucht sie den Blickkontakt zu den Kameras, als sie etwas in ein Buch schreibt, das in den Gedenkstätte ausliegt.

Marlene Dietrich war eine Frau mit viel mehr Facetten, als jenen, an die sich viele Menschen erinnern, wenn sie ihren Namen lesen oder hören. Dies herauszuarbeiten ist das nur vordergründige Ziel dieser Ausstellung „Marlene Dietrich. Die Diva. Ihre Haltung. Und die Nazis“. Erarbeitet wurde die Schau von der Gedenkhalle Oberhausen mit Unterstützung der Marlene-Dietrich-Collection Berlin. Ehe sie nach Erfurt kam, war sie bereits in mehreren deutschen Städten zu sehen.

Goebbels Werbenist sie nicht erlegen

Vor allem, sagt die Leiterin des Erinnerungsorts Topf & Söhne, Annegret Schüle, wolle sie mit dieser Ausstellung auf eine Facette Dietrichs hinweisen, die gerade in diesen Zeiten wieder eine ungeahnte, weil unerwartete Aktualität hat: Die Dietrich weigerte sich trotz aller Verlockungen von Einfluss und Geld, in den Dienst des Dritten Reichs zu treten. Stattdessen hat sie sich gegen die nationalsozialistischen Ideen von Rassenwahn und Übermenschentum gestellt. Dabei habe unter anderem Reichspropagandaminister Joseph Goebbels selbst versucht, Dietrich nach Deutschland zurückzuholen, die seit 1930 in den USA lebte. „Da hat sie nicht mitgemacht“, sagt Schüle. Anders als viele andere deutsche Künstler ihrer Zeit; „arische“ Künstler, die teilweise die Plätze ihrer Kollegen einnahmen, die von den Nationalsozialisten verfolgt, ins Exil getrieben oder sogar getötet wurden.

Dieses Verhalten Dietrichs, sagt Schüle, sei umso wichtiger gewesen, weil Diktaturen regelmäßig darauf angewiesen seien, von Kulturschaffenden unterstützt zu werden. Um sich zu legitimieren und um den Menschen, die in Diktaturen leben, mehr zu bieten als stumpfe politische Propaganda. Das heißt: Auch in Diktaturen muss gelacht und entspannt werden.

Der Weg, der Dietrich im Laufe ihres Lebens dazu geführt hat, die NS-Ideen abzulehnen, war ihr nicht unbedingt vorgezeichnet. Schüle spricht davon, Dietrich habe ihre Ablehnung des Nationalsozialismus „entwickelt“. 1901 in Berlin geboren, verschreibt sich Dietrich schnell der Kunst, nach dem Abitur geht sie 1920/21 nach Weimar, um an der dortigen Musikhochschule Geige zu studieren. Etwa zehn Jahre später, 1930, gelingt ihr mit dem Film „Der Blaue Engel“ der internationale Durchbruch; sie geht nach Hollywood, weit weg von zunehmendem Terror der Nazis.

Überall Hass undHader und Sorge!

Die Ausstellung zeigt, dass Dietrich trotz der räumlichen Distanz zum Geschehen in ihrem Geburtsland schon mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933 hadert und in den Folgejahren oft Kontakt zu Künstlern hat, die aus Deutschland vor dem neuen Regime fliehen – und die ihren Argwohn den Nationalsozialisten gegenüber bestätigen. In privaten Äußerungen, heißt es auf einer der Tafeln der Schau, habe Dietrich dieses Missfallen zum Ausdruck gebracht. „Gegenüber der Öffentlichkeit war sie mit solchen Aussagen zurückhaltender.“

Walter Reisch, ein jüdischer Regisseur und Drehbuchautor, schreibt 1934 in einem Brief an Dietrich: „In Deutschland rast gegenwärtig eine neue und doppelt verschärfte Anti-Juden-Welle. Man hat sämtlichen kleinen Leuten, die bisher noch auftreten durften, die Erlaubnis glatt kassiert! (…) Im Film gibt es ohnedies nur noch Reinarierer! (…) Es ist – wie Du also siehst – nicht viel Erfreuliches zu berichten! Überall Hass und Hader und Sorge!“ Reisch geht 1937 in die USA.

In einer Zeit von „Hass und Hader und Sorge“ – heute wird von „Hass und Hetze“ gesprochen – habe Dietrich sich bewusst entschieden, sich gegen Rassismus und Rassenwahn und Nationalismus zu stellen. Sie stehe damit im besonderen Kontrast zu den vielen Menschen, die für Topf & Söhne arbeiteten und von Erfurt aus die Öfen für die Krematorien des Vernichtungslagers Auschwitz lieferten. „Bei Topf & Söhne finden wir im ganzen Betrieb keinen, der Nein gesagt hat“, so Schüle. Dietrich dagegen habe „eine Haltung des menschlichen Anstandes“ gezeigt. Für eine finanziell unabhängige, in den USA lebende Schauspielerin und Sängerin war es einfacher, sich gegen nationalsozialistische und ähnliche Ideen zu stellen, als für Menschen, die damals in Deutschland lebten und die auf regelmäßiges Einkommen angewiesen waren. Noch heute ist das im Grunde so. Die Ausstellung zeigt aber auch, dass Dietrich wegen ihrer vielen Touren zu US-Frontsoldaten später auf teilweise erbitterten Widerstand stieß, als sie wieder in Deutschland auftrat. Sie zahlte also in gewisser Weise einen Preis dafür, dass sie sich nicht gemein gemacht hatte mit den Ideen, denen in den 1930er und womöglich bis über die Niederlage 1945 hinaus viele Deutsche anhingen und Glauben schenkten.

Westlichen Alt-Nazis galt sie als Volksverräterin

Als Marlene Dietrich 1960 in der Bundesrepublik auftrat, wurden Plakate mit dem Wort „Volksverräter“ hochgehalten, sagt Schüle. Volksverräter ist neuerdings wieder im Sprachgebrauch mancher Menschen. Die 1933 gebildete Volksgemeinschaft habe 1945 eben nicht aufgehört zu existieren, sagt Schüle. Auch die Parolen „Marlene hau ab“ und „Marlene go home“ wurden ihr damals entgegengehalten.

In einer ebenfalls 1960 veröffentlichten Karikatur ist Dietrich zudem zu sehen, wie sie in „Blauer-Engel“-Pose zurück nach Deutschland kommt und auf einen großen Koffer Geld schaut: Das ist ein kaum verhohlener Vorwurf, sie komme nur wegen des Geldes zurück in ihr Geburtsland. Auf einem anderen Foto aus den 1960er Jahren ist zu sehen, wie ein „mutiger Deutscher“ seine Marlene-Dietrich-Schallplatten zerbricht. In einem Leserbrief zu diesem Foto wünscht sich eine Frau, dass sich noch mehr Deutsche so wie er „ihres Deutschtums“ bewusst werden sollten.

Als Marlene Dietrich 1992 in Paris stirbt, hinterlässt sie viel mehr als die weltberühmten Fotos von sich als Sexsymbol aus Hollywood, das mit Männerfantasien spielt. Sie hinterlässt viel mehr als Filme, in denen sie es immer wieder auch um das Verhältnis der Deutschen zum Nationalsozialismus geht; wie etwa in „Das Urteil von Nürnberg“. Sogar mehr als den verwackelten Film ihres Besuches in Yad Vashem. Sie hinterlässt eine Mahnung. Die Ausstellung „Marlene Dietrich.

Ausstellung „Marlene Dietrich. Die Diva. Ihre Haltung. Und die Nazis“ bis zum 12. Januar 2020 im Erinnerungsort Topf & Söhne, Sorbenweg 7, Erfurt www.topfundsoehne.de