In Erfurt entfaltet die Verdi-Oper jedoch klangliche Magie.

Erfurt. Blumen, Quellen und Wälder: Immer wieder imaginieren die Protagonisten in Giuseppe Verdis Oper "Don Carlo" ein Arkadien, die königlichen Gärten als Oase der Natur. Doch in der düsteren Erfurter Premiere am Samstagabend gab es nur monolithische Steinquader, kerkerhaftes Ambiente, ein Leichenschauhaus der Inquisition. Starke, ja überwältigende Bilder voll katholisch-christlicher Symbolik hatte Regisseur Stefano Poda als sein eigener Ausstatter und Bühnenbildner geschaffen. Hervorragende Gesangssolisten und schiere Klangmagie aus dem Graben ließen diesen Opernabend schließlich unvergesslich werden.

Der Italiener Manlio Benzi stand nach 2008 erneut am Pult in Erfurt. Er ist Dirigierprofessor in Pesaro und debütierte zuletzt an den großen Häusern in Dresden, Hamburg und München. Wie er mit den Händen feingestisch die Klänge modellierte, den Erfurter (und Gothaer) Philharmonikern gewaltige Tutti entlockte, sie in süßeste Kantilenen und kammermusikalische Gespinste verstrickte, tat dem Orchester gut und zeigte den überlegenen Maestro des Belcanto-Repertoires.

Verdis Musik war dank Manlio Benzi die große Verführerin und Gewinnerin dieser Inszenierung, die sich - trotz Großeinsatzes der gewaltigen Bühnenmaschinerie - mit wenig optischer Ablenkung unglaublich zauberhaft und fesselnd entfaltete. Als den Kern seiner Regie sah Stefano Poda denn auch Verdis Partitur in der vieraktigen Mailänder Fassung von 1884. Er ließ das Libretto quasi unangetastet, inszenierte es linear aus, lenkte alle Konzentration des Publikums lieber auf die Kraft der Klänge und eine atemberaubende Kulisse.

Poda fokussierte auf den Kontext von Schillers Drama als literarischer Vorlage für Verdis "Don Carlo": die Übermacht der katholischen Kirche mit ihrer Inquisition im Spanien des ausgehenden Mittelalters. "Gewalt ist für den Schwachen jederzeit ein Riese", heißt es bei Schiller, und von Gewalten und Ohnmächten handelte auch Podas Lesart.

Weihrauch und Kruzifixe

Überlebensgroß hingen Gekreuzigte und Waffenarsenale von den Hebebühnen, schwebten Planetenbahnen vom Schnürboden, senkte sich ein kolossales Weihrauchfass haarscharf über die Köpfe der zwergenhaften, stets dunkel gekleideten Menschen. Riesenhaft krallte sich eine abgeschnittene Hand mit klauenartigen Fingern in die Drehbühne, die zunächst den greisenhaften Großinquisitor omnipräsent machte, später mit rostigem Nagel an Golgatha denken ließ.

Eine durchgängige Düsternis verordnete Poda dem Bühnengeschehen, einzig erhellt von genial gelenkten, atmosphärischen Lichtstrahlen. Bei aller Macht seiner Bilder, kongenial verkoppelt mit Benzis Taktstock-Magie, blieb die Personenregie etwas unterbelichtet. So erschöpften sich die Passionen eines Don Carlo, des Infanten von Spanien, im Händeringen und Rampensingen. Geradezu heroisch stemmte Richard Carlucci trotz Fiebers samtig und balsamisch diese Partie. Seine eine Leidenschaft galt dem unterdrückten Volk von Flandern, befeuert durch seinen Busenfreund, den Marquis von Posa. Fundiert, geschmeidig, mit heller Körnigkeit und Strahlkraft glänzte in dieser Rolle der neue Erfurter Ensemble-Bariton Kartal Karagedik.

Don Carlos andere, nicht minder strafbare Leidenschaft galt seiner Königinmutter, von Ilia Papandreou zart leuchtend gesungen. Darüber überhaupt nicht glücklich war König Philipp II., dessen Rolle kurzfristig von Georg Zeppenfeld übernommen worden war. Im silbernen Brustpanzer entfaltete sich sein Bass mit Volumen, Tiefe und Charakter. Mit einem kräftigen, etwas hohl klingenden, in der Höhe nicht immer sauberen Mezzo gab die Ukrainerin Dari­ya Knyazyeva als intrigante Prinzessin Eboli ihr Deutschlanddebüt.

Über all den Liebeswirren und Machtkämpfen stemmte sich der Großinquisitor (recht blass: Vazgen Ghazaryan) auf seine Krücken. Ein Wort von ihm ließ die Ketzer beim Autodafé brennen, den König seinen Sohn richten - und stoppte den Aufruhr des Volkes: "Werft Euch nieder!" So sanken also die Opernchoristen, exzellent einstudiert von Andreas Ketelhut, auf die Knie, wollten sie doch nicht so enden wie die gruseligen Leichenberge, die sich auf der Bühne türmten. Das Publikum bedankte sich am Schluss begeistert für eine Inszenierung, die man als beeindruckendes Gesamtkunstwerk unbedingt gesehen haben sollte.

Weitere Vorstellungen: 28. Sept. u. 11. Okt.