Berlin. Für zehn Tage schließen viele Arztpraxen ihre Türen. Wer betroffen ist und warum sie streiken – die wichtigsten Fragen und Antworten.

Ausgerechnet in der kalten Jahreszeit, wenn Corona-, Grippe- oder RS-Viren wieder um sich greifen, bleiben viele Arztpraxen hierzulande geschlossen. Wer sich also während der Festtage im Freundes- oder Familienkreis einen Erreger eingefangen hat, kann nicht wie gewohnt bei jedem Hausarzt anklopfen, um die nötige Fürsorge zu erhalten. Welche Ärzte warum streiken – und wessen Dienste dennoch in Anspruch genommen werden können: die wichtigsten Fragen und Antworten.

Arzt im Streik: Wer und wie viele Praxen schließen?

Aufgerufen zu dem Streik haben insgesamt 24 Fachverbände, die Arztpraxen unterschiedlicher Ausrichtungen vertreten. Darunter fallen Allgemeinmediziner genauso wie Hals-Nasen-Ohrenärzte, Orthopäden oder Augenärzte. Wie viele Praxen tatsächlich ihre Arbeit niederlegen, ist allerdings nicht genau zu beziffern. Alle am Streik aufgerufenen Verbände regeln die Praxisschließungen selbstständig, wodurch diese nicht zentral erfasst werden. Der Virchowbund der niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte beziffert die Zahl geschlossener Praxen auf Anfrage dieser Redaktion auf mehrere Zehntausend.

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Wie lange dauert der Streik der Ärzte?

Die Praxen sind vom 27. bis 29. Dezember zum Streik aufgerufen, bleiben also zwischen den Jahren geschlossen. Bezieht man die Feiertage mit ein, ruht die Arbeit für insgesamt zehn Tage. Bereits am 3. Oktober hatte das Bündnis zum Streik aufgerufen und damals ebenfalls dank des Feiertages für längere Schließzeiten gesorgt.

Protest der Ärzte: Warum rufen die Verbände zum Streik auf?

Die Verbände rufen unter dem Motto „Praxis in Not“ zum Streik auf und richten ihren Protest vornehmlich gegen die Politik von Gesundheitsminister Karl Lauterbach. Dieser habe auf bisherige Protestmaßnahme nicht reagiert, wie der Virchowbund-Vorsitzende Dirk Heinrich dem „ZDF-Morgenmagazin“ sagte.

Ärzteverbände hatten aus Protest gegen die Gesundheitspolitik von Bundesminister  Lauterbach dazu aufgerufen, Hausarzt- und Facharztpraxen zwischen den Jahren geschlossen zu halten.
Ärzteverbände hatten aus Protest gegen die Gesundheitspolitik von Bundesminister Lauterbach dazu aufgerufen, Hausarzt- und Facharztpraxen zwischen den Jahren geschlossen zu halten. © DPA Images | Marijan Murat

Auf der Website „Praxis in Not“ ist von „schmerzhaften Sparmaßnahmen“ die Rede, wodurch die Praxen ausgeblutet seien. Die Verbände präsentieren eine Liste von Herausforderungen, bei denen es vor allem um Geld geht. „Besonders bitter dabei ist, dass die meisten schon den ‚Zero Pay Day‘ erreicht haben, also rechnerisch seit Mitte November keinen Cent für die Behandlung von Kassenpatienten erhalten“, so Heinrich laut Mitteilung.

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Welche Regelungen stehen in der Kritik?

Mit ihrem Protest gehen die Verbände gegen die zu Beginn dieses Jahres abgeschaffte „Neupatientenregelung“ vor. Damit hatten die Praxen bis dato eine gesonderte Vergütung von den Krankenkassen erhalten, wenn diese neue Patienten aufgenommen haben. Stattdessen erhalten Arztpraxen nun Zuschläge, wenn sie Patienten an andere Praxen vermitteln.

Zudem gehen die Praxen mit der sogenannten Budgetierung ins Gericht. Diese legt fest, wie viel Geld pro Kalenderjahr in den jeweiligen Bereichen für die Patienten der gesetzlichen Krankenversicherungen bereitsteht. Nur etwa 80 Prozent der erbrachten Leistungen würden von den Krankenkassen übernommen, beklagen die Organisatoren des Streiks.

Am Ende des Jahres sei das Geld völlig aufgebraucht, so Heinrich. Folglich gebe es lange Wartezeiten oder einen totalen Aufnahmestopp. Auch haben die Praxen mit dem Fachkräftemangel und einem hohen Verwaltungsaufwand zu kämpfen, kritisieren die beteiligten Verbände.

Einkommen der Praxen: Was verdient ein Arzt?

Laut der Kassenärztlichen Bundesvereinigung sind die Honorarumsätze im ersten Quartal 2022 noch um 4,9 Prozent gestiegen, im zweiten Quartal aber um 1,4 Prozent gesunken. „Die Umsätze können mit den explodierenden Kosten und der hohen Inflation nicht mehr Schritt halten“, erläuterte der Vorstandsvorsitzende Andreas Gassen den Bericht vom Oktober. Aufgrund der vergangenen Pandemiejahre sei das letzte Jahr allerdings nur bedingt mit den Vorjahreszeiträumen zu vergleichen, heißt es. Von den Honorarumsätzen blieben den niedergelassenen Ärzten im Schnitt rund 25,5 Prozent als Nettoeinkommen. Ein Großteil fließe in Praxiskosten, die sich aber je nach Tätigkeit deutlich unterscheiden können.

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Wie reagieren Politik und Krankenkassen auf die Vorwürfe?

Die Brutto-Reinerträge der niedergelassenen Ärzte seien in den vergangenen Jahren im bundesweiten Durchschnitt gestiegen, sagte die Vorstandschefin des Spitzenverbandes der gesetzlichen Krankenkassen, Doris Pfeiffer, dem „Redaktionsnetzwerk Deutschland“. „Außerdem muss deutlich gesagt werden: Was Ärzte oder Apotheker mehr bekommen wollen, müssen die Supermarktkassiererin und der Lkw-Fahrer mit ihren Krankenkassenbeiträgen finanzieren.“ Auch sie litten unter den gestiegenen Preisen, so Pfeiffer weiter.

Bundesgesundheitsminister Lauterbach hält die Forderungen ebenfalls für unbegründet: Mit Ausnahme der Schweiz werde nirgendwo in Europa in den Praxen so viel verdient wie in Deutschland, so der SPD-Politiker gegenüber dem ZDF-„Heute Journal Update.“ Bestimmte Facharztgruppen verdienten im internationalen Vergleich „ausgezeichnet“, so Lauterbach. „Der Streik bringt überhaupt nichts nach vorne.“ Zugeständnisse machte er bei besseren Arbeitsbedingungen und weniger Bürokratie. Für Januar ist ein Krisengipfel mit den beteiligten Akteuren geplant.

Arzt streikt: Wo bekommen Kranke Hilfe, wenn Praxen geschlossen sind?

Die geschlossenen Praxen seien vorab dazu aufgerufen worden, ihre Vertretung eigenständig zu regeln, teilte der Virchowbund auf Anfrage mit. Die Vereinigung verweist zudem auf die Hotline 116117, die bei der Vermittlungen geöffneter Arztpraxen hilft. Notaufnahmen der Krankenhäuser sind nicht von dem Streik betroffen.

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