Pro Jahr kommen in der Jenaer Frauenklinik etwa 1500 Kinder zur Welt, zirka 250 davon werden vor der 37. Schwangerschaftswoche und folglich als Frühchen geboren - rund 60 davon mit einem Gewicht von unter 1500 Gramm. Eines davon ist die kleine Nele.

Jena. Nele ist eine Kämpfernatur. Als das kleine Mädchen vor gut vier Wochen per Kaiserschnitt auf die Welt geholt wurde, wog es weniger als zwei handelsübliche Stückchen Butter: Gerade einmal 430 Gramm brachte es auf die Waage, als es am 16. Oktober im Jenaer Universitätsklinikum geboren wurde. In der 26. Schwangerschaftswoche und damit vierzehn Wochen vor dem errechneten Geburtstermin.

Trotzdem entwickelt sich der Winzling vielversprechend - und Oberärztin Dr. Kristin Dawczynski, die kommissarische Leiterin der Sektion Neonatologie und Pädiatrische Intensivtherapie der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin, ist "guter Dinge", dass Nele es schafft. Sie sei eine Handvoll Mensch, die eine ganz erstaunliche Stärke an den Tag legt.

Nele ist derzeit das kleinste Frühgeborene der Jenaer Klinik, das sich bis jetzt gut entwickelt hat - und eines der kleinsten überhaupt, die dort bislang aufgepäppelt wurden. Überlebenschance ab der 23. Woche So selten, wie es Außenstehenden erscheinen mag, sind Frühgeborene, die mit einem Gewicht von teils weit weniger als 1500 Gramm Gewicht zur Welt kommen und sich trotzdem prächtig mausern, indes nicht: "In Deutschland haben Frühgeborene schon ab der 23. Schwangerschaftswoche eine 50-prozentige Chance zu überleben", sagt Kristin Dawczynski, zu deren kleinen Patienten derzeit neben Nele noch drei Babys zählen, die ebenfalls nur knapp ein Pfund wiegen und trotzdem eine gute Prognose haben.

"Ab der 28. Woche liegt die Überlebenschance bei nahezu 100 Prozent. In der Frühgeborenenmedizin hat sich in den letzten Jahren sehr viel getan." Trotzdem dürfe man sich die Winzlinge, die zumeist geholt werden müssen, weil die Mutter unter einer schweren Infektion leidet und ihr Leben deshalb in Gefahr ist, nicht nur als passive Wesen vorstellen, die lediglich durch Apparatemedizin am Leben gehalten werden.

Zwar brauchen die Frühgeborenen anfangs durchaus Unterstützung etwa beim Atmen, auch allein trinken können sie in diesem frühen Stadium noch nicht. Doch rund um die Uhr liebevoll und kompetent gepflegt, entwickeln viele Frühchen einen starken Überlebenswillen.

Pro Jahr kommen in der Jenaer Frauenklinik etwa 1500 Kinder zur Welt, zirka 250 davon werden vor der 37. Schwangerschaftswoche und folglich als Frühchen geboren - rund 60 davon mit einem Gewicht von unter 1500 Gramm. In den ersten Tagen nach der Entbindung werden die Kinder in der Frühgeborenenstation betreut, die sich im Gebäude der Frauenklinik befindet, damit die Muttis ihren Kleinen ganz nahe sein können.

Sobald die Mütter die Frauenklinik verlassen dürfen, nimmt der zweite Standort in der Kinderklinik die Babys auf, wo sie meist mindestens bis zum errechneten Geburtstermin bleiben. Erst wenn sie sich so weit stabilisiert haben, dass sie selbstständig ihre Wärme halten, atmen und auch trinken können, werden die Kleinen den Eltern mit nach Hause gegeben. Damit Mütter, die nicht in Jena und Umgebung wohnen, bis zur Entlassung ihrer Kindern nicht permanent zwischen der Klinik und ihrem Zuhause pendeln müssen, können sie im Ronald-McDonald-Haus Quartier beziehen. Ein großer Vorteil. "Auf Wunsch der Eltern hat die Kinderklinik im August eine Frühgeborenen-Sprechstunde eingerichtet, die - wie sich zeigt - sehr gut angenommen wird.

Die Sprechstunde bietet den Eltern die Möglichkeit, zusätzlich zu den obligatorischen Konsultationen nach drei und nach sechs Monaten sowie um den zweiten Geburtstag des Kindes herum alle Fragen loszuwerden, die ihnen auf der Seele lasten. "Schließlich ist die Situation zu Hause eine ganz andere als in der Klinik, wo rund um die Uhr ein fachkompetenter Ansprechpartner zur Verfügung steht", sagt die Oberärztin. Die Sprechstunde ersetze allerdings nicht die normalen Untersuchungen beim Kinderarzt, die Jenaer Mediziner verstehen sie vielmehr als ein Bindeglied zwischen der Frühgeborenenmedizin der Klinik und den niedergelassenen Kinderärzten.

Überwachung der Schlafphase

Eine häufig vorgebrachte Sorge ist die, dass dem Kind im Schlaf etwas zustößt. Kristin Dawczynski: "Bei Frühgeborenen gibt es im Schlaf oft Atempausen, die die Eltern natürlich ängstigen, die aber mit zunehmender Reife der Kinder verschwinden. Um den Eltern die Sorge zu nehmen und auch um zu schauen, ob mit der Atemregulation alles stimmt, überwachen wir den Schlaf der Kinder in unserem Schlaflabor.

Möglicherweise braucht ein Kind am Anfang noch ein Medikament zur Unterstützung." Für die Ärzte und Pflegekräfte sei der enge Kontakt zu Eltern und Kindern in der Nachbetreuung auch sehr wichtig, um zu sehen, wie die Behandlung und Betreuung in den Tagen und Wochen nach der Geburt angeschlagen haben. "Für uns ein wichtiges Qualitätskriterium", sagt die kommissarische Leiterin der Neonatologie. Doch auch über die Elternsprechstunde hinaus sei der Kontakt sehr innig: Immer wieder erreichen die Klinik Elternbriefe voller Dankbarkeit dafür, dass sich die Kinder gut entwickelt haben, obwohl ihr Start ins Leben alles andere als leicht verlief.

Die Jenaer Uni-Klinik ist - ebenso wie das Helios Klinikum in Erfurt - ein Perinatalzentrum mit Maximalversorgung, was eine hohe Kompetenz auf geburtshilflicher und neonatologischer Seite erfordert. Mit der Möglichkeit, bei Bedarf die uniklinikeigenen Kinderchirurgen, Neuropädiater und Kinderradiologen zu Rate zu ziehen, hat sie sogar ein Alleinstellungsmerkmal. Die Mütter kommen aus ganz Thüringen, meist Risikoschwangere, bei denen schon abzusehen ist, dass ihre Babys früher auf die Welt drängen, so dass sie rechtzeitig nach Jena verlegt werden.

Doch es kann auch vorkommen, dass sich ein Baby lange vor dem errechneten Termin auf den Weg macht, ohne dass seine Mutter schon in ein Perinatalzentrum verlegt wurde. "Dann", sagt Kristin Dawczynski, "wird die Mutter entweder per Helikopter noch schnell zum Beispiel zu uns in die Frauenklinik Jena gebracht oder wir fliegen zu ihr, um das Kind gleich nach der Geburt gemeinsam mit den Kinderärzten vor Ort zu versorgen. Mit den umliegenden Krankenhäusern arbeiten wir dabei sehr gut zusammen."

Frühchen-Treffen im September 2013

Im September kommenden Jahres soll es, organisiert von der Mitte 2012 gegründeten Elterngruppe "Kleine Wunder", ein Treffen aller Frühgeborenes geben, die seit 2006, dem Jahr, in dem die Arbeit der Kinderklinik an den beiden Standorten begann, das Licht der Welt erblickten. Vielleicht sitzt dann auch die kleine Nele auf Mamas oder Papas Schoß in der großen Runde oder krabbelt sogar durch das Gewusel, mit dem die Organisatoren rechnen dürfen. Das Zeug dazu hat sie jedenfalls.

Alle Informationen zur Frühgeborenen-Sprechstunde des UKJ unter Telefon (03641) 938255. Sprechzeit ist montags von 8 bis 10 Uhr und nach Vereinbarung.

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