Jena/Neuhaus am Rennweg. Viele Schwerstbehinderte verzichten wegen des Risikos einer Ansteckung mit dem Coronavirus seit Monaten auf Teilhabe. Daher wird der Ruf nach unkonventionellen Lösungen laut.

Für schwerstmehrfach behinderte Erwachsene ist es eine extrem schwierige Situation: Weil sie zu den Corona-Risikogruppen gehören und bei ihnen im Falle einer Infektion die Gefahr eines schweren Verlaufs besonders hoch ist, haben sich viele von ihnen schon frühzeitig isoliert und vom aktiven Leben zurückgezogen. Alle aktuellen Entwicklungen im kostenlosen Corona-Liveblog

Wochen- oder sogar monatelang müssen sie auf Teilhabe am Arbeitsleben oder auf Förderung verzichten, dadurch oftmals auch auf feste Tagesstrukturen und soziale Kontakte. Katrin Welke, Geschäftsführerin der Rennsteig-Werkstätten in Neuhaus am Rennweg, kann das für ihre Einrichtung – eine anerkannte Werkstatt für Menschen mit geistiger und Körperbehinderung sowie psychischen Erkrankungen – nur bestätigen: Derzeit fehlten Beschäftigte sowohl im Arbeits- als auch im Förderbereich, weil sie eine mögliche Ansteckung vermeiden wollen. „Das heißt, sie können ihren Anspruch auf Teilhabe am Arbeitsleben nicht wahrnehmen, sind teilweise sozial isoliert und fehlen natürlich auch, um die Aufträge unserer Kunden zu erfüllen.“

Eltern und Betreuer fühlen sich von der Politik im Stich gelassen

In der Folge entstünden oft schwierige Situationen sowohl in den gemeinschaftlichen Wohngruppen als auch im familiären Umfeld, zumal wenn die Menschen mit Behinderungen bei Eltern lebten, die selbst hochbetagt und durch das Virus besonders gefährdet seien.

Doch die Eltern und Betreuer haben das Gefühl, dass die Politik diese Problematik kaum wahrnimmt, die schwerstmehrfach behinderten Menschen keine Stimme haben. „Unser Sohn“, sagt ein betroffener Vater (80) aus dem Landkreis Saalfeld-Rudolstadt, „ist uns keine Last. Meine Frau und ich sind noch gut in der Lage, uns um ihn zu kümmern.“ Im vorigen Jahr sei das sogar fünf Monate der Fall gewesen.

Doch anderen Familien falle das deutlich schwerer, weshalb sich Eltern und Angehörige vom Land mehr Unterstützung und beim Impfen unkonventionelle Lösungen wünschen, wo immer diese möglich seien.

Heinrich: Zumindest in Härtefällen früher als geplant impfen

„Wir stellen die Entscheidung der Ständigen Impfkommission keineswegs grundsätzlich in Frage“, betont Katja Heinrich, Geschäftsführerin der Lebenshilfe für Menschen mit geistiger Behinderung in Thüringen, mit Blick auf die Einordnung Betroffener in die Stufe 2 (Personen mit hoher Priorität). Angesichts der Impfstoff-Knappheit sei die Reihenfolge gesetzt. Doch es sei wünschenswert, dass Spielräume genutzt und Menschen mit Behinderungen zumindest in Härtefällen früher als geplant geimpft würden.

In Bayern oder Mecklenburg-Vorpommern etwa würden sie von mobilen Impfteams mit versorgt, sobald sich bei Impfungen in Heimen abzeichne, dass Serum übrig bleibt. Wenn unorthodoxe Regelungen getroffen werden könnten, die die speziellen Belange Schwerstbehinderter berücksichtigen, ihnen dadurch wieder Teilhabeleistungen ermöglicht und schwere Krankheitsverläufe verhindert werden könnten, wäre das eine große Erleichterung, ist Katja Heinrich überzeugt.