Erfurt. Michael Siegel hat seine Kindheit in Dresden verbracht. Er schildert die Festbräuche in seiner Familie.

Um Erinnerungen bitten wir mit der Aktion „Leser schreiben zum Advent“. Michael Siegel aus Erfurt schreibt, wie er Weihnachten in seiner Heimatstadt Dresden in den 1950er Jahren erlebte:

Je näher das Weihnachtsfest rückte, umso geheimnisvoller wurde es. Da war für mich und meine Geschwister das Schlafzimmer unserer Eltern tabu, denn dort befanden sich wohl alle die Dinge, deren Geheimnisse sich erst am Heiligen Abend lüften würden.

Unsere Wunschzettel hatten wir am Vorabend des Nikolaustages geschrieben oder gemalt und in die gut geputzten Schuhe getan. Am nächsten Morgen waren die Schuhe mit Süßigkeiten und kleinen Geschenken gefüllt und die Wunschzettel hatte der Nikolaus mitgenommen.

Am Morgen des 24. Dezember mussten wir feststellen, dass auch das Wohnzimmer verschlossen und damit für uns nicht zugänglich war. Das erhöhte die Spannung um ein Vielfaches für uns Kinder. Natürlich versuchten wir, durch das Schlüsselloch etwas zu erspähen, was in der Regel nicht gelang.

Wenn unser Vater von der Arbeit kam, gab es zum Mittagessen eine leichte Reis- oder Nudelsuppe, zubereitet mit Gänseklein, also Hals, Flügel, Herz und Magen der Gans, die am ersten Feiertag als Festessen auf den Tisch stehen würde. Nach dem Mittagessen fuhren meine Geschwister und ich mit unserem Vater in die Hofkirche, um uns dort das Krippenspiel der Dresdner Kapellknaben anzusehen. Dadurch hatte unsere Mutter genügend Zeit und Ruhe, das Wohnzimmer für die Bescherung vorzubereiten. Den Weihnachtsbaum haben unsere Eltern schon am Vorabend aufgestellt und geschmückt. Nun konnte sie die Krippe aufbauen und die Geschenke vorbereiten.

Wenn wir aus der unbeheizten Hofkirche durchgefroren nach Hause kamen (in meiner Erinnerung war es damals zu Heilig Abend immer bitter kalt, meist lag Schnee), war in der Küche der Kaffeetisch gedeckt und der erste der Weihnachtsstollen, die wir Anfang Dezember gebacken hatten, wurde probiert. Die Spannung stieg dann fast ins Unermessliche, ehe unsere Mutter ins Wohnzimmer verschwand. Plötzlich erstrahlten viele Lichter und eine kleine Glocke gab das Zeichen, dass wir zur Bescherung kommen durften. Bevor es die Geschenke gab, stellten wir uns vor der Weihnachtskrippe auf, sangen Weihnachtslieder, meine Schwestern spielten Flöte. Ich durfte die Weihnachtsgeschichte vorlesen.

Bei der Bescherung überwog letztlich die Freude, auch wenn es nicht immer das gab, was wir uns gewünscht hatten. Und die Geschenke für unsere Eltern hatten wir gebastelt oder von erspartem Geld gekauft. Nie waren unsere Eltern darüber enttäuscht. Wichtig war die Freude, die man dem anderen mit einem Geschenk bereitete.

Schreiben Sie uns Ihre Weihnachtserinnerungen bitte mit Adresse und Telefonnummer an leserbriefe@tlz.de