Düsseldorf/Leingarten (dpa/tmn). Viele Weinreben sind anfällig für Pilzkrankheiten und werden deshalb viel gespritzt. Doch es gibt eine naheliegende Lösung. Die Messe ProWein in Düsseldorf zeigt zukunftsfähige Sorten.

Auf den ersten Blick sieht es so aus, als wären Blätter und Weintraube mit Mehl bestäubt. Der Grund: der Echte Mehltau. Ist ein Rebstock von der Pilzkrankheit befallen, können sich Früchte verhärten, verfärben und platzen. Die Folge: eine schlechte Traubenqualität. Pilzkrankheiten wie der Echte und Falsche Mehltau können dadurch Ursache für schlechte Weinqualität sein, aber auch für ganze Ernteausfälle.

Um die Weinberge und damit Einnahmen zu schützen, setzen Winzer Pflanzenschutzmittel ein. Wie viel sie spritzen, schwankt. In einem trockenen Jahr wie 2022 braucht es weniger Schutz als in einem verregneten Jahr wie 2023. Trotzdem ist die Menge – gerade im Vergleich zur übrigen Landwirtschaft – beim Weinbau groß. Und das ist ein Problem für den „Green Deal“ in der EU. Der sieht vor, dass chemischer Pflanzenschutz bis 2030 massiv zurückgehen soll.

Weniger Pflanzenschutz senkt CO2-Bilanz

Wein als Kulturgut und Lebensgrundlage auf der einen Seite, Nachhaltigkeit auf der anderen – das klingt unvereinbar. Dabei gibt es eigentlich schon lange eine Lösung: pilzwiderstandsfähige Rebsorten, kurz PIWIs. Das sind Rebsorten, die weniger anfällig sind für Pilzerkrankungen und dadurch weniger Pflanzenschutz benötigen als herkömmliche Trauben. Weniger Pflanzenschutz bedeutet auch: weniger Treckerfahrten durch den Weinberg. Das senkt die CO2-Bilanz und bedeutet weniger Belastung für den Boden. Und es heißt auch: weniger Arbeitszeit für die Winzer. Also eigentlich eine Win-win-win-Situation.

Joachim Schmid ist schon lange überzeugt: „Ich habe meine Diplomarbeit über PIWIs geschrieben und dachte damals: In zehn Jahren werden die meisten Reben pilzwiderstandsfähig sein.“ Das war 1980. Danach forschte Schmid als Professor am Institut für Rebenzüchtung der Hochschule Geisenheim, heute ist er im Ruhestand.

Mit seiner über 40 Jahre alten Prognose liegt er bis heute daneben. Laut Angabe des Deutschen Weininstituts sind hierzulande etwa drei Prozent der Rebflächen mit PIWIs bepflanzt. Doch Schmid steht immer noch hinter dem Ansatz: „Auf lange Sicht wird der Weinbau ohne diesen Sorten nicht bestehen können. Weniger Pflanzenschutz ist nur mit PIWIs möglich.“

Riesling statt Johanniter: Weinfans kaufen nach Rebsorte

Sucht man nach Gründen dafür, warum PIWI-Sorten trotz aller Vorteile eine Randerscheinung im Weinbau sind, gibt es verschiedene Erklärungen. Von Winzern und dem Handel hört man oft, dass sich PIWI-Weine nicht gut verkaufen. Die Begründung: Gerade in Deutschland kauften Konsumenten vor allem vertraute Rebsorten – es wird also nach dem Riesling gefragt und nicht nach dem vergleichbaren Johanniter. Außerdem überzeugten die neuen Reben nicht im Geschmack. Ein anderes Argument: Nach einiger Zeit würde die Pilzresistenz nachlassen.

All das sind Argumente, die Jungwinzerin Anna Weinreuter vom Bioweingut Weinreuter in Württemberg nicht überzeugen. Ihre Eltern, erzählt sie, haben vor mehr als zehn Jahren die ersten PIWI-Reben gepflanzt, heute machen die neuen Rebsorten gut ein Drittel der Rebflächen aus. „Wir können nicht bestätigen, dass die Resistenz irgendwann zurückgeht“, sagt Weinreuter.

Zweimal spritzen im Jahr besser als achtmal

Ähnliches hört sie auch von anderen Weingütern. „Wer PIWIs pflanzt, muss sich aber natürlich auch damit beschäftigen. Auch was das Spritzen angeht.“ Denn ganz ohne Pflanzenschutz kommen PIWI-Reben nicht aus. Zwei- bis dreimal müssen sie pro Jahr gespritzt werden, sonst verlieren sie ihre Resistenz. Die anderen Reben der Weinreuter bekommen im Schnitt 8-10 Mal pro Jahr Pflanzenschutz.

Für das Weingut ist das ein Hauptgrund, jeden Weinberg, der neu bepflanzt wird, mit PIWI-Reben zu bestücken. „Das sind Rebsorten, die zukunftsfähig sind, die auch mit dem Klimawandel besser klarkommen“, sagt Weinreuter. Auch füge es sich in die Idee der Kreislaufwirtschaft ein, die das Weingut verfolgt. „Wir haben Schafe im Weinberg, die düngen und den Boden lockern. In PIWI-Weinbergen sind sie perfekt – da müssen wir keine Sorge haben, dass die Tiere etwas essen, was ihnen nicht guttut“, erzählt die Winzerin.

Ein weiteres Argument: „Die neuen Rebsorten schmecken toll“, sagt Anna Weinreuter. Mit ihnen kämen neue Geschmacksprofile in die Weinwelt. Doch was für die Winzerin faszinierend ist, ist für andere Menschen eine Herausforderung: „Viele Kunden suchen ein Vergleichsprodukt – also eine Art Spätburgunder oder Lemberg als PIWI.“ Weinreuter findet es spannender, PIWIs als alleinstehende Rebsorten zu betrachten: „Ich habe aber noch nie Kunden gehabt, die keinen unserer PIWI-Weine mochten.“

„Pilzwiderstandsfähig“ nicht klangvoll für Einzelhandel

Was auf einem Weingut wunderbar funktioniert, ist beim sonstigen Einkauf natürlich schwieriger. Im Lebensmitteleinzelhandel können Weine nicht probiert werden. Dazu kommt: „pilzwiderstandsfähig“ klingt nicht gerade sexy. Damit PIWI-Weine ein breiteres Publikum finden, gibt es immer mehr Initiativen – etwa die Zukunftsweine, wozu auch das Weingut Weinreuter gehört.

Die Bewegung, die mit dem deutschen Nachhaltigkeitspreis ausgezeichnet ist, will das Thema PIWI bekannter machen und bringt sie unter dem Label „Zukunftsweine“ in den Lebensmitteleinzelhandel. „Zukunftsweine ist eine starke Gemeinschaft. Es hilft bei der Vermarktung – aber ich bin positiv überrascht vom fachlichen Austausch“, erzählt Weinreuter.

Einen anderen Ansatz für PIWI-Weine haben Martin Schmidt, einer der größten Bio-Winzer und ein PIWI-Pionier in Baden, und Philipp Rottmann gefunden. Rottmann kommt aus dem Start-up-Bereich und ist Quereinsteiger in der Weinbranche. Gemeinsam haben sie das „PIWI-Kollektiv“ ins Leben gerufen. Das Ziel: Mehr ökologisch bewirtschaftete Fläche und mehr PIWI-Reben etablieren.

Das Kollektiv unterstützt Weingüter, auf ökologischen Weinbau umzusteigen und PIWIs anzupflanzen: „In Baden-Württemberg sind über 80 Prozent der Betriebe klein, haben einen halben bis einen Hektar Wein“, erzählt Rottmann. Eigentlich ist das gut: Die Biodiversität ist höher, weil es zwischen den Weinbergen Streuobstwiesen, Böschungen und kleine Gärten gibt. Trotzdem ist für diese Betriebe eine Umstellung auf „Bio“ eine Herausforderung, ergänzt Rottmann. Die Zertifizierungskosten und der bürokratische Aufwand sind hoch. Da hilft das PIWI-Kollektiv.

Schaumweine als Türöffner für pilzwiderstandsfähige Rebsorten?

Und es hilft, wenn es um die Verarbeitung der Trauben geht. Kleine Betriebe können es sich in der Regel nicht leisten, Trauben selbst zu verarbeiten – eine der Grundlagen fürs Genossenschaftsprinzip im Weinbau. Das gilt auch für das PIWI-Kollektiv – die Trauben der unter Vertrag stehenden Winzer werde in der Kellerei von Martin Schmidt zu einem Crémant verarbeitet - also zu einem Schaumwein, der ähnlich wie in der Champagne hergestellt wird. Auch das ist überlegt: Denn Schaumweine verkaufen sich gut. Verbraucher und Verbraucherinnen achten nicht so sehr auf die Rebsorten. So wollen sie gemeinsam die Agrarwende im Weinbau vorantreiben.