Berlin (dpa/tmn). Rund jeder sechste Deutsche ab 14 Jahren besitzt Wertpapiere. Das ist zwar mehr als vor 20 Jahren, aber im weltweiten Vergleich noch immer wenig. Ein Experte erklärt, ob die Vorsicht begründet ist.

Wer über die Jahre Wohlstand aufbauen möchte, fährt statistisch gesehen mit der Geldanlage in Aktien am besten. Und doch hält sich der Vorbehalt hartnäckig, dass diese Anlageform wilder Zockerei gleicht, stellt Marktexperte und Autor Andreas Lipkow fest. Im Interview beschreibt der ehemalige Börsenmakler, Investmentbanker und Trader, wie sich das vermeintliche Glücksspiel zum aussichtsreichen Kapitalaufbau eignet.

Frage: Warum hält sich bei einigen Menschen das Vorurteil, dass die Geldanlage in Wertpapiere reines Glücksspiel ist?

Andreas Lipkow: Weil es tatsächlich so ist, dass das Agieren an der Börse eine Art Glücksspiel ist, wenn man unbedarft rangeht. Die Einstellung und die Vorkenntnisse eines Marktteilnehmers entscheiden darüber, ob dessen Geldanlage Zockerei ist oder Systematik hat. Das gilt aber für die meisten anderen Anlageklassen ganz genauso. Auch vermeintlich sichere Anlageformen können zum Trauerspiel werden. Ich staune zum Beispiel oft darüber, wie schlecht vorbereitet manche Menschen an den Immobilienkauf rangehen.

Frage: Aber wie stellt man es denn richtig an, Vermögen mit der Geldanlage an der Börse aufzubauen?

Lipkow: Um Vermögen an den Börsen aufzubauen, muss ich das Risiko kennen und bewusst in den Märkten agieren. Das hört sich trivial an, aber die Börse ist auch trivial. Wenn ein Geschäft erst mal gemacht ist, ist es gemacht. Da gibt’s dann keine Erklärung mehr. Deshalb sollte man sich im Vorfeld mit den Risiken und Renditechancen der jeweiligen Anlageklasse auseinandersetzen. Ich sollte also wissen, welchen Gewinn ich erwirtschaften möchte, wie viel Zeit ich dafür habe und welches Risiko ich bereit bin, dafür einzugehen. Auf dieser Grundlage kann ich dann entscheiden, ob ich zum Beispiel in Aktien oder doch lieber in Anleihen oder konservativere Finanzprodukte investiere.

Zudem sollte man sich mit den Unternehmen auseinandersetzen, von denen man Anteile erwerben möchte. Was machen die, was machen sie vor allem anders als andere Unternehmen, welchen Einflüssen unterliegen sie und was für ein Potenzial besteht noch? Für diese Beurteilung muss ich kein Analyst sein. Oft ist es schon ein guter Ansatz, seine Umgebung mit offenen Augen wahrzunehmen. Vielleicht gibt es etwa Produkte, die wie geschnitten Brot gehen oder durch eine tolle Technik überzeugen.

Wenn ich bei diesem Prozess merke, dass es nichts für mich ist, sollte ich lieber nicht investieren. Denn in dem Moment, in dem ich in den Markt eintrete, muss ich mich ja gegen eine Horde besser wissender Anleger beweisen.

Frage: Und wenn ich mich für ein Investment entscheide? Welche Fehler sollte ich unbedingt vermeiden?

Lipkow: Unbedingt vermeiden sollte man viel zu hohe Erwartungen. Insgesamt kann man davon ausgehen, dass man an den Aktienmärkten auf lange Sicht sechs bis acht Prozent Rendite pro Jahr erwirtschaften kann. Wenn man mal mehr hat, ist das super, dann hat man vielleicht auch was richtig gemacht. Aber das ist absolut nicht die Regel.

Was ich auch nicht machen würde: Einen Betrag X in nur eine Aktie setzen und darauf hoffen, dass sie im Wert steigt. Das kann zwar gut gehen, muss es aber nicht. Das Kapital sollte also nach Möglichkeit breiter gestreut werden. Oft landet man mit dieser Erkenntnis bei ETF (Anm. d. Red.: börsengehandelte Indexfonds). Dass aber pauschal jeder damit glücklich wird, ist eben auch nicht gesagt.

Und zu guter Letzt: Wenn ich als Arzt, Anwalt, Steuerberater oder Fachangestellter schon 40 bis 50 Stunden die Woche habe, sollte ich mich nicht auch noch als Day-Trader versuchen – irgendeiner der beiden Jobs wird auf der Strecke bleiben.