Weimar. Zum 30. Geburtstag der Zeitung 1975 hat Wolfgang Leißling einen Film über den Redaktionsalltag der Thüringischen Landeszeitung gedreht. Nun kann man den 8-mm-Schmalfilm digital ansehen.

Wolfgang Leißling war blutjunger TLZ-Redakteur, als ihm sein Verlagschef 1975 eine Spezialaufgabe antrug: Er möge doch bitte zum 30. TLZ-Geburtstag einen kleinen Film drehen, sagte Helmut Müller. Nur für den internen Gebrauch. Und nur zu dem Zweck, sich selbst vor Augen zu führen, wie viele Menschen eigentlich an der Produktion einer Zeitung beteiligt sind und wie viel Arbeit eigentlich darin steckt.

Leißling, gelernter Werkzeugmacher, aber gleich nach dem Armeedienst bei der TLZ eingestiegen, kam dem gerne nach. Schließlich war er begeisterter Amateurfilmer und besaß eine Schmalfilmkamera im 8-Millimeter-Format. Der damals 29-Jährige filmte zunächst Wielandplatz, Marienstraße und das dort angesiedelte TLZ-Stammhaus von außen. Und dann das, was in der TLZ-Redaktion und in der Druckerei – schließlich wurde die Zeitung damals noch in der Marienstraße gedruckt – vor sich ging.

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Das Drehbuch gab weitgehend der Alltag vor: Er bestand aus Redaktionskonferenzen, bei denen vor allem über Themen gesprochen wurde, aus den Recherchen der Redakteure, dem Schreiben der Texte – damals natürlich noch auf der Schreibmaschine –, dem Fotografieren, dem Gestalten der Zeitungsseiten und schließlich dem Herstellen der Zeitung in der Druckerei. Allein das war zu dieser Zeit ein höchst aufwendiges Verfahren. Eines, bei dem zum Beispiel ein Schriftsetzer jedes Typoskript an der Setzmaschine abtippen musste, damit Bleispalten entstanden. Diese passte der Metteur nach dem gewünschten Layout in Zeitungsspalten ein und setzte Überschriften – und es folgten noch etliche Schritte, bis endlich die Druckvorlage fertig war und die Zeitung in Druck gehen konnte. Jede Seite wurde nach so gut wie jedem Schritt gründlich gelesen, damit kein Druckfehler ins Blatt kam .

Das alles ist auf dem 20-minütigen Film zu sehen. Das alles entsprach der Realität. Einzig dass der Weimarer Lokalredakteur – damals war das Bernhard Hecker – von der Kamera zum Rathaus begleitet und im Gespräch mit der stellvertretenden Oberbürgermeisterin gefilmt wurde, war eine eigens für den Film gestellte Szene. Die aber im Grunde dem entsprach, was des Redakteurs täglich Brot war.

Der fertige Schwarz-Weiß-Film, den Wolfgang Leißling digitalisieren ließ und der TLZ-Redaktion anlässlich ihres 70-jährigen Bestehens 2015 zur Verfügung stellte, wurde bei der Betriebsfeier zum 30. TLZ-Geburtstag uraufgeführt. Danach verschwand er in Leißlings privatem Archiv. Doch der Erfurter kann sich noch daran erinnern, dass der Streifen mit großem Hallo aufgenommen wurde – und die TLZ-Redakteure diesen Anlass wie viele andere zu feiern verstanden. „Wir haben oft in einem Raum die Tische zusammengerückt und darauf getanzt“, sagt Leißling, damals LDPD-Mitglied. Die TLZ-Mannschaft, zu der in den 70ern beispielsweise auch eine Telefonistin, ein Archivar und eine Reinigungskraft gehörten, habe viel gearbeitet – aber auch jede Gelegenheit beim Schopf ergriffen, miteinander zu feiern: „Karneval und Kindstaufen, Hochzeiten und Scheidungen.“

Wolfgang Leißling – hier im Gespräch mit Sibylle Göbel – hat von 1967 bis 1991 als Lokal- und Kulturredakteur bei der TLZ gearbeitet.
Wolfgang Leißling – hier im Gespräch mit Sibylle Göbel – hat von 1967 bis 1991 als Lokal- und Kulturredakteur bei der TLZ gearbeitet. © Sebastian Holzapfel

Leißling, der sich im Fernstudium zum Journalisten ausbilden ließ und später auch noch ein fünfjähriges Fernstudium der Kulturwissenschaften in Leipzig draufsattelte, war als Volontär und Redakteur in Suhl, Gotha und Weimar, in der Kulturredaktion und schließlich in der Erfurter Lokalredaktion tätig, wo er am Anger, wie er findet, beinahe fürstlich in einem 34 Quadratmeter großen Zimmer mit Stuck an der Decke und einem Kamin residierte. Vor allem zu Künstlern hatte er stets auf Anhieb einen guten Draht. Kunst und Kultur waren eine Nische, in der er sich nicht nur wohlfühlte, sondern auch eine gewisse Narrenfreiheit in einem System genoss, in dem an Meinungs- und Pressefreiheit nicht zu denken war. Wolfgang Leißling verklärt diese Zeiten nicht im Rückblick, er erinnert sich durchaus an Zurechtweisungen und Maßregelungen, obwohl die bei der TLZ nicht so schlimm ausgefallen sein mögen wie bei einer SED-Bezirkszeitung. „Aber wir übten uns in der Kunst des Möglichen“, sagt er rückblickend. „Wir hatten ja nur dieses eine Leben.“

Zur „Kunst des Möglichen“ gehörte für ihn auch die Arbeit an einem Buch über Burgen, das er gemeinsam mit seinem Mentor, Kollegen und Freund Georg Menchén – bis 1989 Leiter der TLZ-Kulturredaktion – verfasste. Ein Renner, trotz des beachtlichen Preises von 69 DDR-Mark. Und ein Schwergewicht dazu. Denn das Werk über 1000 Jahre Burgengeschichte, erzählt anhand von 29 Burgen zwischen Werra und Elbe, wog 2,5 Kilogramm und brauchte bei jeder Auflage das gesamten Jahreskontingent des Rudolstädter Greifenstein-Verlags an Papier auf. „Es verkaufte sich nicht nur in der DDR, sondern auch im Westen so gut, dass es alle zwei Jahre neu herauskam“, sagt Wolfgang Leißling. „Das war richtige Bückware.“ Die den beiden Autoren dank des Absatzes im Westen auch Forumschecks über einige Hundert D-Mark bescherte.

Von der TLZ verabschiedet hat sich Wolfgang Leißling mit einem „Knaller“: Er war der erste Journalist aus dem Osten, der Beate Uhse – die Chefin des Erotik-Konzerns – interviewte. „Ich schrieb ihr einen Brief nach Flensburg und rechnete gar nicht mit einer Antwort. Aber sie lud mich im Januar 1990 zu sich ein, holte mich sogar vom Bahnhof ab.“ Er habe sich nicht nur sehr gut mit Beate Uhse unterhalten, die freilich auch den DDR-Markt erobern wollte, sie habe ihm sogar eine Geschäftsstelle in Erfurt angeboten. Leißlings Antwort: „Das ist nicht mein Metier.“

TLZ-Chefredakteur Hans-Dieter Woithon sei indes von der Geschichte, die Leißling nach seiner Rückkehr verfasste, gar nicht begeistert gewesen: „Solcher Schweinkram kommt mir nicht in die Zeitung“, zitiert ihn der frühere TLZ-Redakteur. Leißling dampfte seinen Text für die TLZ zu einem Dreispalter ein – und bot ihn der „Wochenpost“ an. Die nahm ihn mit Kusshand und in voller Länge.

Seinen Einstand bei der TA, die ihm 1991 eine feste Stelle als Kulturredakteur anbieten konnte, markierte ein Text über Prinz Louis Ferdinand von Preußen. Leißling traf den Enkel des deutschen Kaisers auf Burg Hohenzollern bei Hechingen – „da trug ich zum letzten Mal in meinem Leben eine Krawatte“. Doch auch danach folgten „viele wunderschöne Begegnungen“, vor allem mit Künstlern, mit denen Wolfgang Leißling selbst dann gut auskommt, wenn sie sich mimosenhaft geben.

2010 wechselte der Erfurter in den Ruhestand. Seinen Traumjob aber hat er bis heute nicht an den Nagel gehängt. Jenen Beruf, der ihm noch immer großen Spaß macht. Leißling schreibt für Kataloge, hält bei Vernissagen Laudationes auf die Künstler, organisiert Ausstellungen. Aber die Jahre von 1967 bis 1991, seine Jahre bei der TLZ, die sind ihm in der Erinnerung die liebsten. „Ich habe damals alle meine Freunde und Bekannten für ein TLZ-Abo geworben.“

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