Berlin. Aßen Eiszeit-Menschen Verdautes aus Tiermägen? Vermutlich, sagt eine US-Forscherin – und stellt damit eine uralte Theorie in Frage.

Das klingt unappetitlich: Laut einer neuen Studie der Universität Michigan (USA) könnten Eiszeitmenschen auch die halbverdauten Pflanzen aus Mägen und Därmen von getöteten Wildtieren genutzt haben, um sich zu ernähren. Zuerst hatte die Zeitung „Der Standard“ darüber berichtet.

Die ersten Europäerinnen und Europäer hatten den Angaben zufolge vor allem während des Höhepunkts der letzten Eiszeit vor rund 25.000 Jahren Probleme, sich ausgewogen zu ernähren. An Fleisch habe es dabei weniger gemangelt als an Pflanzen, so die Anthropologin Raven Garvey vom Forschungszentrum für Gruppendynamik, deren Studie im Fachjournal „Evolutionary Anthropology“ veröffentlicht worden ist.

Garvey hält es demnach für möglich, dass Homo sapiens die vorverdauten Pflanzen aus den Mägen und Därmen ihrer erbeuteten Pflanzenfesser, Digesta genannt, aßen. „Der Verzehr nicht nur des Fleisches und der Organe, sondern auch der Verdauung würde einer Person eine signifikant höhere Anzahl von Kalorien einbringen und auch die Arten von Makronährstoffen wie Protein, Fett und Kohlenhydrate erweitern“, so die Forscherin laut Mitteilung der Universität.

Genug Kohlenhydrate für 25 Personen und drei Tage

Anhand von Schätzungen des verfügbaren Proteins und der Kohlenhydrate in Fleisch beziehungsweise Digesta eines großen Wiederkäuers (Bison) zeigt Garvey, dass eine Gruppe von 25 erwachsenen Menschen mit Digesta die Tagesration für Proteine und Kohlenhydrate drei Tage lang ohne zusätzliche Nahrungsergänzung erfüllen könnte. „Eine solche Ressource könnte in bestimmten Kontexten von entscheidender Bedeutung gewesen sein, etwa in Gebieten, in denen Pflanzen knapp oder für den Menschen unverdaulich waren“, schreibt die Michigan News.
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Durch den Kontakt mit fermentierenden Mikroben im Verdauungstrakt der Pflanzenfresser wird Zellulose zu Zucker umgewandelt. Das würde die Nährstoffe der Gräser, rohfaserreiche Pflanzen und Blätter auch für das Verdauungssystem des Homo sapiens verfügbar machen, schreibt Garvey.

Haben sich die Frauen mehr an der Jagd beteiligt als gedacht?

Mit ihrer Studie wirft Garvey auch die Frage auf, ob jene Hypothese eigentlich stimme, dass es in der Eiszeit eine strenge geschlechtsspezifische Trennung bei der Nahrungsbeschaffung gegeben habe, dass also Männer fürs Fleisch und Frauen für Pflanzen zuständig waren.
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Im Winter sei es laut der Anthropologin womöglich sinnvoller gewesen, dass sich Frauen an der Jagd beteiligten, als mühsam nach pflanzlicher Kost zu suchen. Es lägen mittlerweile auch archäologische Funde vor, die diese These stützten: Gegen Ende der letzten Eiszeit seien Frauen in Amerika häufig mit Jagdwaffen beigesetzt worden. Aufgrund dieser Befunde könnte ein Drittel bis die Hälfte der Großwildjäger Frauen gewesen sein.